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Deadline 24

Deadline 24

Titel: Deadline 24
Autoren: A John
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Kapitel 1
    Über der Kuppel vibrierte der Himmel. Ein Fremder, der über die weite Steppe des Ödlandes wanderte, würde vermutlich denken, dies sei ein ganz normales Hitzeflirren. Er würde keine Angst empfinden, sich höchstens wundern, wenn das Flirren sich ausdehnte, sich bewegte und sich schließlich auf ein Stück Himmel genau über seinem Kopf konzentrierte. Vielleicht würde er mit zusammengekniffenen Augen angestrengt hinaufblinzeln, erstaunt etwas wie Flügelschlag bemerken, schemenhaft im Blau. Zu spät, viel zu spät würde er spüren, wie er von dort oben beobachtet wurde, gierig, hungrig. Vielleicht bliebe seinen Augen noch genug Zeit, sich entsetzt zu weiten, sein Verstand würde ganz sicher nicht mehr erfassen, was dann geschah.
    Das waren natürlich nur blutrünstige Fantasien. Trotz der Hitze spürte Sally, wie eine Gänsehaut sie überlief, und sie verscheuchte die grausamen Bilder aus ihrem Kopf. Realistisch waren sie ohnehin nicht. Nur ein komplett Verrückter käme auf die Idee, dort draußen herumzulaufen, oder jemand von sehr weit her, dem die Verhältnisse im Ödland gänzlich unbekannt waren. Doch Fremde kamen schon lange nicht mehr.
    Sally war dreizehn, vierzehn in zwei Tagen und konnte sämtliche Fremde, die sie je gesehen hatte, an den Fingern einer Hand abzählen. Der letzte war Vigo, Vigo Faulpelz, seine Ankunft auf der Farm lag nun schon über ein Jahr zurück. Längst musste es sich bis zur Küste herumgesprochen haben, was hier los war, wie sehr die Hybride sich vermehrt hatten. Früher hatte es stets zwei Karawanen im Jahr gegeben, eine im Frühling und eine im Herbst, doch in den letzten zwölf Monaten hatte sich nicht mal der Schatten eines Händlerkonvois blicken lassen.
    Das war ein Problem. Die Kuppelfarmer brauchten die Karawanen. Nur in ihrem Schutz wagten sie es, die Kuppeln zu verlassen, um einander zu besuchen, und außerdem war da natürlich der Handel. Sie tauschten ihre landwirtschaftlichen Produkte gegen alles, was sie nicht selbst herstellen konnten, Kleidung zum Beispiel. Jedes Teil, das Sally in ihrem Schrank hatte, war geflickt, gewendet und ausgebessert. Sie hätte sonst was gegeben für ein neues Hemd, ein paar Schuhe oder – Luxus pur – ein hübsches Kleid. Obwohl das eigentlich alles unwichtig war, Hemd, Schuhe, Kleid, nichts davon brauchte man wirklich. Es war immer warm im Ödland, sogar unbekleidet könnte man überleben. Absolut unverzichtbar waren Werkzeuge, Ersatzteile, Kuppeldraht, Energie für Batterien und Generatoren. Nicht mal mehr das Funkgerät könnten sie betreiben ohne Energie, dann gäbe es keinen gemütlichen, abendlichen Plausch mehr mit den anderen Kuppelfarmern. Dann wären sie endgültig und total isoliert. Schon jetzt war das Funken kein reines Vergnügen, allzu oft bekamen sie nur Störgeräusche herein. Paul, Sallys großer Bruder, meinte, es liege an dem für Menschen unhörbaren Gebrüll der Hybride.
    Todesgemeine Biester, dachte Sally, man sieht sie kaum, weil sie sich ihrer Umgebung anpassen, und man hört sie nicht, weil sie auf Frequenzen kreischen, für die das menschliche Ohr nicht geschaffen ist. Unsichtbar und unhörbar, doch immer da, immer hungrig, immer bereit, sich auf alles zu stürzen, was sich bewegte. Die Farmer waren zu Gefangenen ihrer Kuppeln geworden, nur der dünne Stahldraht, aus dem das Gitterwerk bestand, schützte sie vor dem Zerfleischtwerden. Zwar waren die Kuppeln riesig, sie überwölbten die gesamte Farm, alle Gebäude, alle Pflanzungen und Viehweiden. Aber wenn man bedachte, dass die Farmer ihr ganzes Leben unter ihnen verbringen mussten, von Geburt an bis zu ihrem Tod, dann war ihre Welt doch recht klein geworden. Und was, wenn die Kuppeln eines Tages zerfielen, weil es keinen Ersatzdraht mehr gab, um sie zu reparieren? Was würden sie dann tun? Sich hinlegen und auf die Hybride warten? Ihnen einen guten Appetit wünschen? Oder in die unterirdischen Kavernen fliehen, wo es zwar Wasser gab, aber sonst nichts, bloß ewige Dunkelheit? Ohne mich, dachte Sally wütend.
    »Ohne mich!«, schrie sie gellend in den wabernden Himmel jenseits der Kuppel hinauf.
    »Und ohne mich«, ergänzte eine tiefe Stimme hinter ihr.
    Sally fuhr herum und sah ihren Großvater aus dem Schatten des Ölhains treten.
    »Warum hat Gott Hybride gemacht?«, schnauzte sie ihn an, als sei er Gottes persönlicher Schöpfungsberater.
    Großvater verzog das Gesicht und massierte sich mit den Fingerkuppen die linke Brustseite. Er hatte
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