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Frauenbataillon

Frauenbataillon

Titel: Frauenbataillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sehr sauer und hart, dachte bei alledem immerzu an Stella – und vergaß darüber den Bären.
    Der Bär indes vergaß Pjotr nicht. Es gehört zu den Listen der Bären, vor dem Feind davonzulaufen, sich zu verstecken und dann in einem weiten Bogen wieder zurückzukehren, um endlich aus dem Hinterhalt hervorzubrechen. Pjotr dachte an diese alte Weisheit erst, als hinter ihm das dumpfe Brüllen ertönte, worauf er die gesammelten Beeren fallen ließ und sich herumwarf.
    Nun sahen sie sich an. Der Bär überragte Pjotr um zwei Haupteslängen, seine Schultern waren doppelt so breit wie die seines Gegners, seine Beine glichen zwei überwucherten, dicken Baumstümpfen, und die schwarzen, gebogenen Krallen an seinen hochgestreckten Tatzen waren so lang wie die Steigeisen, mit denen die Elektriker an den Strommasten emporkletterten. Noch einmal brüllte der Bär. Sein Atem roch faulig, nach Verwesung, und der Wind wehte ihn Pjotr voll ins Gesicht. Die kleinen, kalten Augen des Tieres musterten den Menschen starr und gnadenlos.
    Nicht rühren, dachte Pjotr. Bloß nicht weglaufen. Was immer du tust, in so einer Lage ist er immer schneller als du! Rede mit ihm, sprich ihn an, plaudere mit ihm wie mit einem guten Freund … er hat noch nie eine menschliche Stimme gehört, vielleicht verblüfft sie ihn. Mit meiner Stimme habe ich doch schon viel erreicht … wütende Hunde habe ich mit ihr beruhigt, einen ausgebrochenen Eber habe ich herbeigelockt, ja sogar einem Wolf habe ich gut zugeredet, worauf der so erstaunt war, daß ich schnell das Gewehr hochreißen und ihn erschießen konnte. Und heute? Nur sechs Meter sind es bis zum Gewehr, und dann noch drei Sekunden bis zum Schuß …
    Pjotr, rede mit ihm …
    »Das war sehr klug von dir, mein Bärchen«, sagte Salnikow mit belegter, heiserer Stimme. Ich habe ja Angst, durchfuhr es ihn. Wirklich, es ist die Angst, die meine Stimme zusammenpreßt. Die nackte Angst des Hilflosen. Reiß dich zusammen, Pjotr Herrmannowitsch! Diesem Gegner entgeht deine Angst nicht.
    »Sehr klug«, sagte er noch einmal. »Kommst einfach von hinten angeschlichen und da stehst du nun. Ich weiß genau, was du tun wirst, wenn ich mich rühre. Ich sehe deine Krallen. Sie reißen mich von oben bis unten auf, als ob ich eine Puppe aus buntem Seidenpapier wäre. Das sind fünf Stahlhaken, die mich zerhacken. Ich gebe ehrlich zu, mein schöner Bär: Du hast gewonnen! Aber nun sollten wir eine Abmachung treffen, was meinst du? Du läßt mich jetzt Schritt für Schritt zurückgehen, und dafür verspreche ich dir, dich heute nicht zu töten. Ist das ein Wort, Bärchen?«
    Pjotr starrte dem Bären in die kalten Augen. Sie sahen ihn reglos an, wirkten tatsächlich wie zwei aufgenähte Glasknöpfe. Dann atmete der Bär ein, seine Brust weitete sich noch einmal um ein Drittel aus, staunend hörte Pjotr, wie das Riesentier einen fast menschlichen Seufzer von sich gab, und dann beugte sich der Bärenkörper vor, und zwei Bärentatzen stützten sich auf Pjotrs Schultern.
    Salnikows Knie wurden weich, seine Beine zitterten, das Gewicht drückte ihn nieder, von beiden Schultern lief Blut über Brust und Rücken, und erst dann spürte er den Schmerz, hörte das furchtbare Knirschen der Krallen an seinen Schulterblättern und stieß einen so schrecklichen Schrei aus, wie er ihn aus dem Mund eines Menschen selbst noch nie gehört hatte.
    Der Bär stutzte erschrocken. Seine Tatzen lösten sich von seinem Opfer, er wich zurück, blickte Pjotr mit schiefgeneigtem Kopf nachdenklich an und hob schnüffelnd die Nase.
    Salnikow brach in die Knie. Sein ganzer Körper zitterte, seine Nerven versagten. Er wollte nicht weinen, aber die Tränen brachen ungestüm aus seinen Augen hervor und flossen über das zuckende Gesicht. Die schwarzbraune, bepelzte Gestalt vor ihm schien unermeßlich in den Himmel zu wachsen, ergriff Besitz von Wald und Wolken, verlor alle Konturen und vermischte sich mit den Strahlen der Sonne … Pjotr fiel nach vorn ins Gras, biß in den warmen, weichen Boden und schluchzte.
    Der Bär ließ sich auf seine Vorderbeine fallen, trottete zu ihm hin, stieß ihn mit der Nase viermal an, leckte ihm über den Nacken und entfernte sich dann mit tiefem, grollendem Brummen.
    Pjotr hob den Kopf, spuckte ein Grasbüschel aus und sank dann wieder zurück.
    »Ein gottverdammtes Luder bist du, du Bär …«, fluchte er mit röchelndem Atem. »Du tötest mich nicht … du läßt mich krepieren!«
    Er streckte sich aus und wartete
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