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Frauenbataillon

Frauenbataillon

Titel: Frauenbataillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auf den Tod. Verbluten soll ein sanfter Tod sein, dachte er. Das Leben rinnt aus einem fort, man wird müde, und die große ewige Dunkelheit überkommt einen wie ein ersehnter Schlaf. Du wirst es sehen, Pjotr Herrmannowitsch – es wird nicht lange dauern.
    Dann dachte er an Stella Antonowna, seine Frau, und bat sie um Verzeihung für ein dreißigjähriges, gemeinsames, schweres Leben, dessen schöne Stunden so rar gewesen waren wie Rosinen in einem Topfkuchen.
    Als ihm die Lider schwer wurden, lächelte Pjotr traurig. Nichts schmerzte mehr, in seinem Rücken spürte er nurmehr ein leichtes Brennen. Die Schwerelosigkeit begann.
    Verwundert stellte er fest, wie schön das Sterben war.
    In der Nacht fanden sie ihn, und er lebte noch.
    Bis zur Dunkelheit hatte Stella Antonowna gewartet, dann war sie unruhig geworden, lief zum Fenster, blickte hinaus in die Taiga, trat ein paarmal vor die Tür und stellte sich an den Flechtzaun, als könne sie damit Pjotr aus dem Wald locken. Je tiefer die Dunkelheit sich über das Land senkte, desto mehr festigte sich ihre Befürchtung, daß draußen in der Wildnis etwas Entsetzliches geschehen sein mußte.
    Es war eine jener schwarzen Neumondnächte, die die Taiga undurchdringlich erscheinen lassen. Stella Antonowna band sich ihr Kopftuch um und rannte zu Fedja Alexandrowitsch Stupka, dem Bürgermeister von Nowo Kalga und Vorsitzenden der Ortspartei.
    Stupka war ein dicker, gemütlicher Mensch. Er lebte nach einer ganz bestimmten, sinnvollen Philosophie, die sich auf die simple Tatsache gründete: Hier ist Nowo Kalga, und Moskau ist weit weg! Zwar hören wir Moskau, aber Moskau sieht uns nicht. So war Nowo Kalga ein ruhiger Ort geworden, der seine Sollzahlen erfüllte und in dem sich die Kontrolleure aus der Kreisstadt mit selbstgebrannten Beerenschnäpsen blind soffen. Ohnehin am Rande der zivilisierten Welt gelegen, blieb Nowo Kalga somit von allen Erschütterungen der großen Politik verschont.
    Fedja Alexandrowitsch saß vor seinem Radio und hörte aus Jakutsk ein Opernkonzert. Ein Chor sang gerade ›Steuermann, laß die Wacht …‹ aus Wagners ›Fliegendem Holländer‹, als Stella an die Tür klopfte, sie im gleichen Augenblick aufriß, ins Zimmer stürzte und schrie:
    »Pjotr ist im Wald geblieben! Fedja … er ist nicht zurückgekommen … und jetzt ist es stockfinster … Fedja, etwas Schreckliches ist geschehen, ich fühle es! Ich spüre es in meiner Seele! Es jagt durch meine Adern mit jedem Schlag meines Herzens … Noch nie ist er nachts allein im Wald geblieben, nie … Ihr müßt ihn suchen, alle müßt ihr ihn suchen …«
    Sie lehnte sich an die Wand, faltete die Hände und suchte mit dem Blick die schöne Ecke, in der gemeinhin vor einer Heiligenfigur das Ewige Licht brennt. Bei Stupka gab es sie nicht mehr, als Parteivorsitzender von Nowo Kalga konnte er sich so etwas nicht mehr leisten. Statt Christus hing nun Lenin in der schönen Ecke. Seine Augen vermochten Stella nicht zu trösten.
    Gerade begann der Seemannschor mit dem stampfenden Tanz, es war Stupkas Lieblingsstelle. Aber er schaltete das Radio aus, rieb sich die dicke, rote Knollennase und sah Stella betroffen an.
    »Wieso ist Pjotr nicht da?« fragte er.
    »Weil er im Wald ist, du Eisentopf!« schrie Stella. »Er ist im Wald verschollen.«
    »So kann man das nicht nennen, solange nicht einwandfrei geklärt ist, daß Pjotr wirklich spurlos verschwunden ist. Und warum sollte er verschwinden? Wohin denn?«
    »Man … man kann ihn getötet haben«, stammelte Stella und rang die Hände.
    »Wer? Er hatte nur Freunde!«
    »Jakutische Nomaden, die ihn nicht kennen …«
    »Ausgeschlossen. In jedem jakutischen Aul kennt man Pjotr Herrmannowitsch. Und wer neu in das Gebiet kommt, dem wird sofort von Pjotr erzählt. Und wenn man ihn wirklich getötet hat, dann ist er nicht verschollen, sondern liegt irgendwo im Wald herum.«
    Stella schloß die Augen und drückte den Kopf gegen die Wand. Ihr Körper zitterte von den Zehenspitzen bis zu den Zipfeln des Kopftuchs. Stupkas perfide Art, alle Dinge mit entwaffnender Gelassenheit zu betrachten, ließ sie fast verzweifeln. »Sucht ihn …«, sagte sie leise. »Bitte, sucht ihn … Ich weiß ungefähr, wo er sein könnte. Er hat mir gesagt, in welchem Gebiet er jagen will … Wir können ihn nicht verfehlen … wir … wir werden ihn finden …«
    Ihre Stimme brach. Sie zog das Kopftuch tief über ihr Gesicht und schluchzte. Stupka starrte sie eine Weile schweigend an,
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