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Frauenbataillon

Frauenbataillon

Titel: Frauenbataillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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haben.«
    »Wieviel denn?«
    Sie senkte die blutverschmierten Hände und streichelte mit ihnen über Pjotrs aufgerissenen Rücken. »Eine kleine Flasche voll.«
    »Es wird sofort gerinnen. Es wird klumpig …«
    »Du hast doch Mittel, die es flüssig bleiben lassen.«
    »Stellinka …«
    »Bitte, Wiljam Matwejewitsch …«
    »Es ist ja gar nicht mehr sein Blut!« Dr. Semaschko deckte ein Tuch über den zerrissenen Körper. Seine Hände zitterten, als stünde er nackt im Frost. »Es ist Infusionsblut …«
    »Aber es kommt aus seinem Leib! Es ist durch ihn hindurchgeflossen, sein Herz hat es noch durch die Adern gepumpt. Damit ist es sein Blut! Ein kleines Fläschchen genügt, Wiljam Matwejewitsch.«
    Noch einmal streichelte sie den zugedeckten Körper, und sie tat es mit so viel Zärtlichkeit, daß Dr. Semaschko mit den Zähnen knirschte. Dann verließ sie den Operationssaal – nicht wie eine gebrochene Witwe, sondern hocherhobenen Hauptes und kräftigen Schrittes. Es war, als habe sie eben von Pjotr Herrmannowitsch einen wichtigen Auftrag erhalten, den sie nun erfüllen mußte.
    Das Begräbnis artete zu einem Fest aus.
    Erst jetzt erkannte man, wie beliebt Salnikow gewesen war und wie gut man ihn weit über Nowo Kalga hinaus kannte. Niemand sagte auch nur ein böses Wort über ihn. Stella hörte nur Lob und Bekundungen echter Trauer. Tränenlos nahm sie das Mitleid der anderen hin. Man umarmte sie, drückte sie an die Brust, küßte sie auf die Wangen oder die Stirn, die Frauen klagten laut, die Männer kondolierten mit kantigen Gesichtern. Hinter dem Haus hatte man ein Zelt aufgeschlagen. Zehn Nachbarinnen kochten und buken, die Holztische waren überladen mit Köstlichkeiten. Es gab sechs verschiedene Braten, gedünstete Kartoffeln, Gemüse, Pilzsalate und fettige, mit Hühnerfleisch gefüllte Piroggen. Zum Nachtisch standen Kuchen mit kandierten Multebeeren, Torten mit geschlagener Sahne und bunte Puddinge bereit. Zu trinken gab es Kwaß, Erdbeerwein, Birkenwein, Wodka und einen höllischen, von Stupka persönlich aus einer Mischung von Brombeeren, Moosbeeren und Kartoffelsprit gebrannten Schnaps.
    Wie wichtig Pjotr sogar der Partei gewesen war, ging daraus hervor, daß aus der Stadt Mirny, dem Sitz der Bezirksverwaltung ›Oberer Wiljui‹, der Genosse Sekretär eigens mit einem rotlackierten Hubschrauber nach Nowo Kalga kam, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Er hielt auch die Totenrede und sagte:
    »Er starb, wie es sich ein sibirischer Mann nur wünschen kann: draußen in der Taiga, im Kampf mit der Wildnis. Die meisten sterben im Bett, das kann jeder, das ist normal … aber im Kampf mit einem Bären ehrenvoll besiegt zu werden – ein solcher Abgang von dieser Welt ist eines Pjotr Herrmannowitsch würdig!«
    Dann zogen sie alle zum geschmückten Grab. Voran wehte die rote Fahne, Stupka und der Parteisekretär aus Mirny trugen zusammen mit vier anderen Männern den offenen Sarg, die Blaskapelle von Nowo Kalga spielte den Trauermarsch. Noch nie hatte man so viele Menschen bei einem Begräbnis gesehen, die Kinder hatten schulfrei, und die Jungen Pioniere sangen, als sich der Zug dem Friedhof näherte.
    Hinter dem offenen Sarg ging Stella Antonowna, untergefaßt von Dr. Semaschko. Sie brauchte keine Stütze, aber Wiljam Matwejewitsch hielt es für passend, daß bei diesem Gang ein Mann an ihrer Seite schritt.
    Am Grab trat Stella Antonowna an den offenen Sarg heran, blickte Pjotr in das ernste, zerfurchte Gesicht und nickte ihm zu, so wie sie ihm fast dreißig Jahre lang zugenickt hatte, wenn er sie etwas fragte, oder wenn sie etwas, an dem ihr besonders lag, noch betonen wollte.
    »Ich liebe dich …«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Wie glücklich waren wir, ein halbes Leben lang: Du und ich, eine Liebe wie die unsere wird es nie wieder geben auf dieser Welt.« Sie trat zurück, sah den verwunderten Stupka an, der diese Abschiedsworte nicht verstand, und hob die Hand. »Macht zu!« sagte sie laut. »Gebt ihm seine Ruhe …«
    Sie senkten den Sarg in die Grube, warfen Erde darauf und gingen dann zurück in die Stadt zum Leichenschmaus. Nur Stella und Dr. Semaschko blieben am Grab zurück … man hielt das für ein letztes stilles Abschiednehmen und störte sie nicht. Nur Semaschko hätte es besser wissen können, aber in Wirklichkeit wußte er gar nichts.
    »Warum gehen wir nicht?« flüsterte er, als die letzten Trauergäste den Friedhof verlassen hatten.
    »Ich warte noch auf etwas.«
    Dr. Semaschko
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