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Frauenbataillon

Frauenbataillon

Titel: Frauenbataillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schob die Finger ineinander und knackte mit den Gelenken. Das tat er immer, wenn er erregt war, sich keinen Rat wußte oder wenn ihm die Worte fehlten.
    »Den Deckel hochheben und wieder herauskommen wird er bestimmt nicht«, knurrte er. »Worauf wartest du?«
    »Auf ihn da …« Sie machte eine Kopfbewegung nach links. Vom anderen Ende des Friedhofes näherte sich im schwarzen Ornat der Pope von Nowo Kalga. Ein kleiner Junge ging ihm voraus und trug das Kreuz. Sie hatten, hinter Büschen versteckt, gewartet, bis das Parteibegräbnis vorüber und niemand mehr in der Nähe war. Dr. Semaschko fuhr sich mit beiden Händen durch seine abstehenden weißen Haare. Ungeheuerlich, dachte er. Das ist wirklich ungeheuerlich.
    »Du hast ihn bestellt?!«
    »Ja.« Stella faltete die Hände über der Brust und sah das Kreuz an, das langsam auf sie zuschwankte.
    »Aber du glaubst doch nicht an Gott!« Dr. Semaschko hüstelte vor Erschütterung, als der Pope nun mit tiefer Stimme zu singen begann.
    »Und Pjotr Herrmannowitsch war auch Atheist …«
    »Bist du dir da ganz sicher?«
    »Er hat es überall gesagt.«
    »Sagen kann man viel.«
    »Er war nie in der Kirche.«
    »Nein, er war nie in der Kirche. Du, auch nicht. Und du glaubst an Gott.« Sie sah dem Popen zu, wie er an das Grab trat und segnend die Hände über den bereits von Erde bedeckten Sarg ausbreitete. »Weiß man, ob Pjotr nicht einen Popen wollte? Ich will nichts falsch machen. Wir haben immer gewußt, was der andere wollte. Nur ans Sterben haben wir nie gedacht. Merkwürdig, nicht wahr? Ich habe nie darüber nachgedacht, ob Pjotr vielleicht an Gott glaubte und nur meinetwegen gegen die Kirche war. Wir haben nie darüber gesprochen. Und plötzlich denke ich: Was hat er getan, als er merkte, daß er sterben würde?! An was hat er gedacht? Hat er etwas gesagt? Hat er etwas gerufen? Hat er geflucht oder gebetet? Niemand wird mir das je sagen können. Wenn er nun geschrien hat: Gott! Gott, hilf mir! Gott, laß mich weiterleben! – Das ist doch möglich, nicht wahr? Warum soll ein so starker Mann wie Pjotr nicht um Hilfe rufen, wenn das Leben aus seinem Rücken herausfließt? Und warum soll er nicht nach Gott rufen? Das wäre doch nicht Feigheit, Wiljam Matwejewitsch! Und wenn er nach Gott gerufen hat, dann wäre ich eine schlechte Frau, wenn ich ihn jetzt ohne Gott verscharren ließe … auch wenn ich nicht an diesen Gott glaube.«
    Sie umklammerte den Arm von Dr. Semaschko, als der Pope mit tiefer, singender Stimme das Totengebet sprach und das Kreuz über dem Grab schwenkte.
    »Ist das nicht wie im Theater?« flüsterte sie.
    »Hat Stupka es vorhin mit der roten Fahne anders gemacht?«
    Sie starrte ihn an. Als der Pope auch sie segnete, hob sie den Kopf statt ihn zu senken und wartete, bis sie wieder allein an der Grube standen.
    »Was mach ich ohne dich, Pjotr?« sagte sie und weinte plötzlich bitterlich. Wiljam Matwejewitsch stützte sie von hinten und hielt sie fest, weil er fürchtete, sie könne sich ins Grab stürzen.
    »Es gibt doch für mich nichts mehr ohne dich … Nichts mehr …«
    Am Abend, als alle fraßen und soffen, tanzten und lärmten und das Zelt hinter dem Haus wackelte und schwankte, saß Stella Antonowna auf der hintersten Ecke der Ofenbank und blickte mit leeren Augen in die Weite.
    Wiljam Matwejewitsch blieb in ihrer Nähe, aber er vermied es, daß sie ihn ständig vor Augen hatte. Woran denkt sie jetzt, dachte er. Gott, welch ein Leben sie gehabt hat! Mit nichts als ihrer eigenen Kraft kamen sie 1946 in Nowo Kalga an. Sie bauten das Haus, sie schufen sich ein kleines Reich, sie zeugten zwei Kinder, Gamsat, den Jungen, und Nani, das Mädchen. Mit zehn Jahren starb Gamsat an einer dummen Blutvergiftung, nachdem er sich einen rostigen Nagel in den Fuß getreten hatte. Und Nani wurde von einem wütenden Renhirsch aufgespießt, als sie ihn vor den Schlitten spannen wollte. Sie war neunzehn und wollte auf die Akademie nach Jakutsk, um Malerin zu werden. Und nun holt ein Bär Pjotr Herrmannowitsch. Welch ein Leben, Stella Antonowna!
    Irgendwann in dieser Nacht, die Betrunkenen grölten im Zelt, sagte sie zu Dr. Semaschko: »Hast du das Fläschchen mit Pjotrs Blut nicht vergessen?«
    »Es steht bei mir zu Hause. Glaubst du, ich schleppe es mit mir herum wie eine Wodkapulle?«
    »Ist es klumpig?«
    Dr. Semaschko knackte wieder mit den Fingergelenken. »Ich habe einen Zusatz hineingetan. Es ist flüssig. Genauso, wie du es haben wolltest.«
    »Danke,
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