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Frauenbataillon

Frauenbataillon

Titel: Frauenbataillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bestie! Aber du willst klüger sein …«
    »Ich könnte dir viel erzählen …« Sie sah ihn lange an, erkannte in seinen Augen die brennende Sorge und lächelte traurig. Nun kennen wir uns sechsundzwanzig Jahre, dachte sie. Zuerst haben wir Väterchen zu dir gesagt, weil wir so jung waren und du schon weiße Haare hattest. Aber dann sagtest du: ›Väterchen, das ist ein gutes Wort. Aber laßt mich euer Freund sein – das bedeutet hier in der Taiga mehr.‹ Aber eigentlich bist du immer unser Väterchen geblieben, Wiljam Matwejewitsch. Auch jetzt ist es die Sorge des Vaters, die dich bekümmert, aber ich kann dir nicht helfen. Ich muß hinaus in den Wald. Das habe ich Pjotr versprochen, während ich seinen Kopf hielt. Als er starb.
    »Später«, sagte sie und rückte das Gewehr zurecht.
    »Was ist später?«
    »Es gibt viel zu erzählen, Wiljam Matwejewitsch.«
    »Nichts wirst du mehr erzählen können, wenn dich der Bär erwischt hat!« schrie Semaschko voller Qual.
    »Er wird mich nicht überlisten.« Sie schüttelte den Kopf. Die Selbstsicherheit in ihrer Stimme machte Wiljam fast wahnsinnig. Wie kann sie nur so sicher sein, schrie es in ihm. Hängt sich da ein Gewehr um und glaubt, das genüge schon! Hat sie jemals geschossen? Wer hat sie schon mal mit einem Gewehr hantieren sehen? Fast immer ist Pjotr allein zur Jagd gegangen, und wenn sie mitging, dann saß sie nur daneben und kümmerte sich um das Essen. Weiß sie überhaupt, was das ist, so ein Zielfernrohr? Wozu es aufmontiert ist? Sie wird vor Schreck umfallen, wenn sie hindurchblickt und der Bär glotzt sie an, als stünde er direkt vor ihr.
    »Kannst du überhaupt schießen?« schrie er sie an. »Weißt du, wie man ein Gewehr hält?«
    Sie sah ihn fast erschrocken an; so verblüfft war sie über diese Frage, dann nickte sie mehrmals und legte die Hand auf den Kolben des Gewehrs.
    »Ich möchte allein sein«, sagte sie ernst. »Allein im Wald, verstehst du, Wiljam Matwejewitsch. Schick mir niemanden nach! Ich warne dich. Wer meinen Bären umbringt, ist mein Feind …«
    »Verrückt bist du, Stellanka. Total verrückt! Pjotrs Tod hat dich überdreht! Du gehörst ins Bett und mit Lederriemen festgeschnallt!«
    Dr. Semaschko blieb hilflos stehen, als Stella Antonowna sich umdrehte und zur Tür ging. Sie wirkte sehr kriegerisch in ihrer Lederkleidung, mit den hohen Stiefeln und dem langläufigen alten Gewehr auf dem Rücken.
    »Schießt … schießt es überhaupt noch … dieses Urgroßmütterchen von einem Gewehr?« rief Wiljam Matwejewitsch verzweifelt, als Stella bereits an der Tür war. »Oder willst du dem Bären den Kopf mit dem Kolben zertrümmern? Die Hirnschale eines Bären ist eisenhart …«
    »Das Großmütterchen …?« Stella drehte sich um und klemmte den linken Daumen unter den Gewehrriemen. Ihre Miene war sehr ernst, fast feierlich. »Ich werde dir von ihr erzählen, Väterchen – nach meiner Rückkehr.«
    Sie riß die Tür auf und verließ schnellen Schritts das Krankenhaus. Semaschko sah vom Fenster aus, wie sie mit jugendlichem Schwung in den Sattel sprang und die Straße hinunterritt, und plötzlich durchfuhr ihn die Erkenntnis, daß er sechsundzwanzig Jahre neben und mit Salnikows gelebt hatte, als Ersatzväterchen und Freund, und daß diese schöne Frau für ihn doch immer ein Rätsel geblieben war, ein Rätsel, das jetzt, nach Pjotrs Tod, unlösbarer erschien als je zuvor.
    Sie ist ganz anders, durchfuhr es Wiljam Matwejewitsch. Ganz, ganz anders, als wir sie bisher gesehen haben. Natürlich kann sie schießen, natürlich weiß sie, wie man ein Gewehr hält, selbstverständlich kann sie mit einem Zielfernrohr anvisieren. Und natürlich wird sie den Bären auch treffen. Er wird sie nicht überlisten. Sie wird ihn kalt bis zur Seele, eisig wie der Januarfrost, herankommen lassen und dann den Finger krümmen. Und wenn er umfällt und im Todeskampf um sich schlägt, wird sie sagen: »Pjotr, mein Liebling, nun kannst du ruhig in die Ewigkeit ziehen …«
    »Mein Gott – «, sagte Dr. Semaschko leise und faltete die Hände. »Wie blind kann man sein. Ich bin doch ein rechter Idiot …«
    Vier Tage und Nächte blieb Stella Antonowna im Wald allein. Sie entfernte sich kaum von der Stelle, wo Pjotr sein Feuerchen entfacht hatte, um das Fleisch zu braten. Wo der Bär ihn geschlagen hatte, war der Boden noch mit geronnenem Blut getränkt. Es hatte nur einmal geregnet in diesen Tagen, nicht genug, um das Blut aufzulösen und im Waldboden
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