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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner
Autoren: Stephen Fry
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    Ein Fame -T-Shirt hielt vor Mozarts Geburtshaus. Es schaute am Gebäude hinauf, und seine Augen glänzten. Es stand ganz still, starrte nach oben und glühte vor Bewunderung, während eine Gruppe ausgebleichter Jeans und fluoreszierender Bermudashorts hinter ihm vorbeidrängelte und hineinging. Dann schüttelte es den Kopf, grub in seiner Hosentasche und ging weiter. Eine dünne hohe Stimme hinter ihm ließ es mitten im Schritt verharren.
    »Haben Sie je über das Phänomen der Quellen nachgedacht, Adrian?«
    »Originale, meinen Sie?«
    »Keine Originaltexte, Adrian, nein. Keine Originale. Denken Sie an Wasserquellen. An Brunnen und Heilwasser und Quellen. Wasserquellen im weitesten und lieblichsten Sinne. Jerusalem zum Beispiel ist eine Quelle der Religiosität. Eine kleine Stadt in der Wüste, aber Quelle der drei mächtigsten Religionen der Welt. Es ist die Hauptstadt des Judentums, der Schauplatz von Christi Kreuzigung und der Ort, von dem aus Mohammed gen Himmel fuhr. Religion scheint nur so aus seinem Sand zu sprudeln.«
    Das Fame -T-Shirt lächelte in sich hinein und schritt ins Haus.
    Eine Tweedjacke und ein blaues Knöpfkragenhemd aus Oxforder Baumwolle standen vor den Stufen. Jetzt waren sie an der Reihe, ehrfürchtig nach oben zu starren, während sich hinter ihnen die Flut menschlichen Verkehrs durch die Getreidegasse ergoß.
    »Nehmen Sie Salzburg. Keineswegs die größte Stadt Österreichs, aber ein Jerusalem für jeden Musikliebhaber. Haydn, Schubert und … du meine Güte, ja, da sind wir ja … und Mozart.«
    »Es gibt eine Theorie, daß besondere Linien über die Erde laufen und daß merkwürdige Dinge sich da ereignen, wo sie sich kreuzen«, sagte das Oxforder Baumwollknöpfhemd. »Planetenlinien heißen die, glaub ich.«
    »Sie denken wahrscheinlich, ich gebe bloß wieder meinem Steckenpferd die Sporen«, sagte die Jacke, »aber ich finde, die deutsche Sprache ist verantwortlich.«
    »Sollen wir hochgehen?«
    »Auf jeden Fall.« Das Paar glitt ins schattige Innere des Hauses.
    »Schauen Sie«, fuhr der Tweed fort, »all die Eigenschaften ironischer Abstraktion, die die Sprache nicht zu artikulieren vermochte, fanden Ausdruck in ihrer Musik.«
    »Ich hätte Haydn nie für ironisch gehalten.«
    »Es ist natürlich gut möglich, daß meine Theorie hoffnungslos falsch ist. Bezahlen Sie bei dem hübschen Fräulein, Adrian.«
     
    In einer Kammer im ersten Stock, wo der kleine Wolfgang herumgetobt hatte, deren Wände er mit frühreifer Arithmetik bedeckt und deren Dachsparren er von kindlichen Menuetten hatte erzittern lassen, musterte das Fame -T-Shirt die Vitrinen.
    Die Kämme aus Elfenbein und Schildpatt, die einst die zerstrubbelten Locken des jungen Genies geglättet hatten, schienen das T-Shirt nicht im geringsten zu interessieren, ebensowenig wie die Briefe und Wäschezettel oder die Geigen und Bratschen im Kinderformat. Seine gesamte Aufmerksamkeit
wurde von den Bühnenmodellen in Anspruch genommen, die in Glastruhen in die Wände des ganzen Raums eingelassen waren.
    Eine Truhe schien es ganz besonders zu faszinieren. Es schaute sie mit argwöhnischem Ausdruck an, fast als ob es erwartete, die kleinen Pappmaché-Figuren darin würden durch die Scheibe springen und ihm eins auf die Nase verpassen. Es schien die Gruppe ausgebleichter Jeans und säurefarbener Shorts vergessen zu haben, die sich neben es drängelte und in einer Sprache lachte und Witze riß, die es nicht verstand.
    Das Modell, in das es so sehr vertieft war, war das eines Festsaals, in dem ein mit Speisen überhäufter Eßtisch stand. Zwei kleine Männer waren neben den Tisch gestellt worden, der eine vor Furcht zusammengekrümmt, der andere die Hand in die Hüfte gestemmt, mit einer Gebärde weltmännischer Verachtung. Beide Figuren schauten auf das Modell einer weißen Statue im Bühnenhintergrund, die mit dem anklagenden Finger eines italienischen Verkehrspolizisten oder eines Mobilmachungsposters in Kriegszeiten auf sie herabzeigte.
    Die Tweedjacke und der blaue Knöpfkragen hatten gerade den Raum betreten. »Sie fangen an dem Ende an, Adrian, und wir treffen uns in der Mitte.«
    Die Jacke beobachtete, wie die Oxforder Baumwolle zum anderen Ende des Zimmers schritt, und näherte sich dann der Vitrine, deren Glas immer noch von der intensiven Musterung durch das Fame -T-Shirt beschlagen war.
    »Don Giovanni«, sagte der Tweed, der hinter es trat, »
a cenar teco m’invitasti, e son venuto
. Don Giovanni, ich bin gekommen,
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