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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner
Autoren: Stephen Fry
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versprochen. Wahrscheinlich zu einer Partie Bakkarat nach dem Essen. Sie will die Kurzenauer Smaragde zurückgewinnen. Jarvis, du hast einen Steifen, das ist höchstunangenehm, spül ihn doch mal jemand mit kaltem Wasser ab. Nacht, Lou. Nacht, May. Nacht, Tata. Gute Nacht, meine Damen, gute Nacht, süße Damen, gute Nacht, gute Nacht.«
    Vieles spricht für englische Internate. Wenn Jungen in die Pubertät kommen und die Wissenschaft versagt hat, sie dabei aufzuhalten, ist es viel besser, sie zusammenzupferchen und es unter Ausschluß der Öffentlichkeit hinter sich bringen zu lassen. Sechshundert Häute, die Pusteln ausschwitzen, sechshundert Skalps, die Schmalz weinen, eintausendzweihundert Achselhöhlen, die Haare sprießen lassen, eintausendzweihundert Schenkel, zwischen denen Pilze explodieren, und sechshundert Gehirne, die sich mit suizidalem Geschwätz füllen: Davor beschützt man die Welt besser.
    Zum Besten der Gesellschaft war Adrian Healey daher, wie viele Healeys vor ihm, mit sieben Jahren auf die Prep School geschickt, mit zwölf auf eine Public School versetzt worden und stand jetzt, mit fünfzehn Jahren, zitternd vor pubertärer Verwirrung, an der Schwelle zum Ernst des Lebens. Wenig war daran zu bewundern. Die Verheerungen der Pubertät hatten seinen Geist mehr als seine Haut in Mitleidenschaft gezogen, was in gewisser Weise ein Segen war. Von Zeit zu Zeit platzte ein großer, gelbgekrönter Pickel aus seiner Stirn, oder ein Mitesser wand sich durch den schweißigen Schutz seines Nasenflügels, aber insgesamt war sein Teint zu glatt, als daß er die Hormonstürme und geistigen Verwüstungen verraten hätte, die in seinem Innern tobten, und seine Augen waren offen und sinnlich genug, um ihn als attraktiv gelten zu lassen. Zu schlau bei den Prüfungen, um aus der Sixth Form herausgehalten, zu respektlos und unehrerbietig, umPräfekt werden zu können, hatte er mehr gelesen und aufgenommen, als er verstehen konnte, und lebte daher von Fälschung und Verstellung.
    Seine Verstopfungen, pelzigen Zungenbeläge und Schweißfüße waren ganz gewöhnliche Schuleigenschaften, die wie Slang und Sadismus von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Adrian war vielleicht etwas unorthodox, aber er war keineswegs so blind für das, was sich gehörte, daß er eine gleichmäßige Verdauung oder gesunde Füße kultiviert hätte. Seine sanfte Natur hielt ihn davon ab, die Genüsse des Drangsalierens zu entdecken, und seine Feigheit ließ ihn bei den anderen darüber hinwegsehen.
    Der große Vorteil des Lebens an einer englischen Public School liegt bekanntlich in der Qualität der Ausbildung, die sie bereithält. Adrian hatte eine anständige und breite englische Erziehung im Bereich seiner Lenden erhalten. Das war nicht allein der Verdienst seiner Lehrer, obwohl einige nicht davor zurückgeschreckt waren, ihm praktische Tips und Informationen von der Art zu erteilen, die das Herz all jener erfreut hätte, die der Meinung sind, der moderne Lehrer sei nachlässig in seiner Einstellung zur Hitze junger Knabenblüte. Meist war ihm der Freiraum gelassen worden, seinen eigenen Weg zu finden und seine eigenen fleischlichen Lektionen zu lernen. Er war schnell zu der vielen einsamen Zeitgenossen nie zuteil werdenden Erkenntnis gekommen, daß jeder, einfach jeder, danach gierte und daß mit etwas Geduld jedem gezeigt werden konnte, daß er danach gierte. Adrian ergriff also, was er in die Finger kriegen konnte, und verbrachte, genitaliter gesprochen, die beste Zeit seines Lebens – wobei er sich selbstredend ausschließlich auf das eigene Geschlechtkonzentrierte, denn man schrieb das Jahr 1973, und Mädchen waren noch nicht erfunden worden.
    Sein Liebesleben jedoch war weniger glücklich. An besagtem Nachmittag hatte er zuvor an seinem Altar einen Ritus vollzogen und einem privaten Jammer gefrönt, den sein öffentliches Auftreten nie hätte vermuten lassen.
    Das war oben im langen Schlafsaal gewesen. Der Raum war leer, und die Dielen quietschten unter seinen Schritten leiser als gewöhnlich. Der Vorhang vor Cartwrights Schlafnische war zugezogen. Das aus der Ferne herüberdringende Lärmen der Trillerpfeifen und Hurraschreie am oberen Spielfeld und der Knall einer zugeschlagenen Tür ein Stockwerk tiefer hatten ihn nervös gemacht. Es waren allzu bekannte Geräusche, von einer unechten, echohaften Art, einer alarmierenden Kulissenhaftigkeit. Die ganze Schule wußte, daß er hier war. Sie wußten, daß er gern allein
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