Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut
Autoren: Robert Aickman
Vom Netzwerk:
Das Hospiz

    Es war irgendwo am Ende der Welt. Maybury hätte es nur schwer präziser ausdrücken können.
    Er gehörte zu denjenigen, die es bei Fahrten in unbekannte Gegenden vorzogen, einer von irgendeinem Automobilclub ›empfohlenen‹ Route zu folgen, und dieses Mal - wie auch schon bei einigen vergleichbaren Gelegenheiten zuvor - fand er erneut seine grundsätzliche Abneigung gegen Umwege jeglicher Art bestätigt. Dieses Mal war es allerdings eindeutig die Schuld des Werkmanagers gewesen. Dieser Mensch hatte nicht nur Spott und Hohn auf die offizielle Routenführung gehäuft, sondern auch noch höchstpersönlich so lange am Werktor gestanden, bis er sichergehen konnte, Maybury werde tatsächlich jene Abkürzung nehmen, die, dem Werkmanager zufolge, jeder in der Firma benutzte - und die in genau die entgegengesetzte Richtung führte.
    Mit das Genaueste, was sich zu seinem derzeitigen Standort sagen ließ, war, daß er sich vermutlich am äußersten Rand des gigantischen Ballungsraums der West Midlands befand. Und der äußerste Rand mußte es nun wirklich bald sein, denn Maybury war seit Verlassen des Werkgeländes bereits Stunde um Stunde in kleinen oder großen Kreisen gefahren, hatte immer wieder nach dem Weg gefragt, war jedoch nicht in der Lage gewesen, die Antworten zu verstehen (wenn man ihn überhaupt einer Antwort würdigte), während er offensichtlich immer weiter von seinem Weg abkam.
    Maybury sah auf seine Uhr. Er fuhr nun tatsächlich seit Stunden herum. Ginge es mit rechten Dingen zu, hätte schon mehr als die Hälfte des Heimwegs bewältigt sein müssen -entschieden mehr sogar. Selbst die Beleuchtung der Armaturen schien schwächer zu glühen als üblich. Zudem zeigte ihm der Blick auf den Tankanzeiger, daß sein Benzin bald zu Ende ging. An Benzin hatte er bis dahin überhaupt keinen Gedanken verschwendet.
    Trotz der herrschenden Dunkelheit nahm Maybury die vielen Bäume wahr, himmelaufragend, undurchdringlich. Was nicht heißen sollte, daß es hier keine Häuser gegeben hätte. Nein, Häuser mußte es geben, denn auf beiden Straßenseiten befanden sich Tore, breite, einzelnstehende Tore, meist weiß gestrichen, und wo er keine Tore erkennen konnte, ließen sich doch düstere Eingänge erahnen. Vermutlich handelte es sich um eine teure Wohngegend aus dem vergangenen Jahrhundert. Beinahe identisch wirkende Straßen schienen sich in alle Richtungen davonzuwinden. Das Geradlinige hatte man vornehm vermieden. Wie oft in solchen Gegenden wurde der Raser, der Freund von Abkürzungen, sozusagen mit System bestraft. Vermutlich entsprach es dieser Absicht, daß sich die Straßenbeleuchtung nicht ganz auf dem Stand der modernsten Technik befand.
    Maybury hatte nun eine eigentümliche Weggabelung erreicht. Sie bot keinerlei Anhaltspunkt, wohin er sich wenden sollte, und Maybury fragte sich langsam, ob das überhaupt noch von Bedeutung sei.
    Er fuhr den Wagen an den Straßenrand und stellte den Motor ab, um so viel wie möglich von dem kostbaren Benzin zu sparen, während er nachdachte. Schließlich öffnete er die Fahrertür und trat auf die Straße. Er sah nach oben. Den Mond und die Sterne verdeckten die Bäume fast vollständig. Es war still. Die Häuser standen zu weit von der Straße entfernt, um das Geräusch der Fernseher hören oder ihren bläulichen Schimmer ausmachen zu können. Fußgänger sind heutzutage in solchen Bezirken ohnehin zu jeder Tageszeit rar, aber hier gab es nicht den geringsten Verkehr, nicht einmal das übliche sanfte Rauschen in der Ferne fahrender Autos. Die Stille beunruhigte Maybury.
    Er bewegte sich ein Stückchen zu Fuß weiter, wie man es in solchen Situationen zu tun pflegt. Schließlich besaß er keine Karte, sondern nur eine Routenanweisung, und von der war er bereits hoffnungslos abgewichen. Immerhin war ihm dieser ›Geheimtip‹, diese Alternativroute, die angeblich alle in der Firma benutzten, als der Manager sie ihm beschrieben hatte, vollkommen klar und unkompliziert erschienen. Anderenfalls hätte man ihn kaum überzeugen können, die Abkürzung zu nehmen - auch mit noch so großer Überredungskunst nicht. Wie die Dinge jedoch standen, konnte ihn im Augenblick nicht einmal sein altbewährter Notbehelf weiterbringen, stur geradeaus zu fahren, bis ein Schild oder irgendein anderer Hinweis auftauchte - vorher schon würde ihm höchstwahrscheinlich das Benzin ausgehen.
    An jeder Seite einer jeden Straße verlief ein schmaler gepflasterter Bürgersteig mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher