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Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Titel: Deine Lippen, so kalt (German Edition)
Autoren: Amy Garvey
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Prolog
    I ch war nicht darauf aus, mich zu verlieben, als ich Danny Greer zum ersten Mal traf. An diesem Tag dachte ich an nichts weiter, als an den Aufsatz über die Industrielle Revolution, der auf mich wartete, und an den kühlen silbergrauen Himmel über mir. Ich lag auf der obersten Bank unserer Zuschauertribüne, von der aus man das gesamte Spielfeld überblickt, guckte den vorbeiziehenden Wolken hinterher und fragte mich abwesend, ob ich meinen Körper über dem kalten Metall schweben lassen konnte. Nur ein paar Zentimeter. Nichts, was jemandem auffallen würde.
    Die Gefahr war sowieso nicht besonders groß. Ein paar Leute amüsierten sich auf den unteren Bänken, hauptsächlich Seniors, sie reichten eine Dose Red Bull herum und zogen dann los, um in einem ihrer Autos zu rauchen. Auf dem Rasen loste der Sportkurs von Ms Singer gerade die Seiten für ein Fußballspiel aus. Niemand schenkte mir Beachtung, was ganz in meinem Sinne war.
    Jess und Darcia hatten ihre Mittagspause erst in der nächsten Stunde, sodass ich meine allein verbringen musste. Mir machte es nichts aus, ganz für mich hier draußen auf der Tribüne zu sein, wo ich sämtliche Pausen verbrachte, bis es zu kalt dafür wurde. Spätestens im November würde ich mich wahrscheinlich in der Bibliothek verkriechen und an dem Tisch ganz weit hinten in der Abteilung für Technik und angewandte Wissenschaften meinen Joghurt vor Mrs Gaffney verstecken. Bis dahin war ich zufrieden damit, die Wolken zu lesen und die Blätter in raschelnden, wirbelnden Trichtern die Bordsteinkante entlangtanzen zu lassen.
    Oder über der Tribüne zu schweben, obwohl das bis jetzt noch nicht geklappt hatte.
    Ich schloss die Augen, konzentrierte mich, die Kanten der Metallbank gruben sich durch die Jacke in meinen Rücken. Der Wind hatte aufgefrischt. Er brachte den vertrauten Duft nach Erde und totem Laub mit sich, aber da war noch etwas anderes. Etwas Schweres, Dichtes, beinah elektrisch Aufgeladenes, wie ein Sturm in der Ferne.
    Als ich die Augen öffnete, starrte jemand auf mich runter, und ich fiel fast von der Bank.
    »Ich dachte, du schläfst«, sagte der Junge und richtete sich auf.
    »Und da dachtest du, mich anzustarren sei eine gute Idee?«
    »Du hättest genauso gut tot sein können«, erwiderte er mit einem Achselzucken. »Deine Imitation einer Statue war ziemlich überzeugend. Oder die einer Toten eben.«
    Ich blinzelte. Da er das fahle Herbstlicht im Rücken hatte, sah ich nicht viel mehr von ihm als den schemenhaften Umriss eines kantigen Gesichts und struppiges Haar, das ihm in die Augen fiel, die tief im Schatten verborgen lagen.
    Aber seinen Mund konnte ich ganz gut erkennen. Er war breit, mit vollen Lippen und in diesem Moment zu einem Lächeln verzogen.
    »Danke sehr«, sagte ich, ohne groß nachzudenken, und sah, wie er sich auf die Unterlippe biss. Die elektrische Spannung, die die Luft knistern ließ, war jetzt in meinem Blut, brachte es zum Prickeln, und einen Moment lang spürte ich, wie mein Rücken über dem Metall schwebte. Eine Brise nutzte den unverhofft entstandenen Raum, um zwischen meinem Rücken und der Bank hindurchzufegen.
    »Du bist irgendwie seltsam«, sagte der Junge. Aber er lächelte nach wie vor, als er meine Beine von der Bank schubste und sich neben mich setzte.
    Das war Danny.
    Es war nicht vom ersten Moment an Liebe, denn das ist es nie, egal was Songtexte einem weismachen wollen. Aber so fing alles an. Wenn man so will, öffnete sich für uns eine Tür, während sich zugleich eine andere schloss. Ich schätze, das macht die Liebe aus.
    Wir waren so verschieden wie Tag und Nacht. Danny war groß, unbekümmert und bewegte sich voller Anmut, trotz seiner schier endlos langen Beine. Ich war klein, meist schlecht gelaunt und stolperte durch das Leben. Wir mochten nicht die gleiche Musik oder die gleichen Filme. Er belegte seine Pizza mit Zwiebeln und Pilzen und trug nie Socken. Er hätte sogar weitergeschlafen, wenn neben ihm eine Rohrbombe explodiert wäre. Ich ernährte mich von Bananen und Joghurt, trug ständig irgendwelche Hüte und beim Autofahren wurde mir schlecht, wenn ich nicht Kaugummi kaute und mir die Kopfhörer über die Ohren stülpte.
    Das alles spielte keine Rolle. Ich liebte ihn. Ich liebte ihn so sehr, dass ich eine ganze Weile lang nichts anderes mehr wahrnahm. Danny kittete die Risse in mir, blendete aus, dass die Welt oft genug ein kalter, leerer Ort war. Es dauerte nicht lange, und Danny war für mich das
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