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Frau Schick macht blau

Frau Schick macht blau

Titel: Frau Schick macht blau
Autoren: Ellen Jacobi
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falsche Verzierungen. Das muss sie sich notieren.
    »Kann ich mir kurz mal Ihren Kugelschreiber ausborgen?«
    Der Grünschnabel blickt unwirsch von seinen Notizen auf, rückt den Kuli aber nicht raus. »Ist diese Frieda erst kürzlich verstorben?«, fragt er stattdessen.
    »Welche Frieda?«, hakt Frau Schick spitz nach. Sie weiß natürlich, wer gemeint ist, aber der Grünschnabel soll endlich merken, wie unkonzentriert er zuhört.
    »Ihre Tante.«
    »Die hieß nicht Frieda, sondern Freda ! Freda von Todden war die Schwester meines Vaters. Sie ist seit 1965 tot und auf eigenen Wunsch verbrannt worden. Ich nehme an, sie wollte dem Teufel ein Schnippchen schlagen, damit fürs Höllenfeuer nichts übrig bleibt, aber zum dumm Herumspuken reicht es anscheinend allemal. In meinem Kleiderschrank war sie noch knapp über einen Meter groß.«
    »1965 verstorben. Hm, aha«, wiederholt dieser Grünschnabel, runzelt die Stirn, klickt wieder mit dem Kugelschreiber und blättert in Professor Ludrikeits Gutachten, als müsse er es auf Rechtschreibfehler prüfen. Wenn das der Herr Professor wüsste!
    »Über Freda steht da nichts drin«, ist Frau Schick behilflich, um ihm unnütze Arbeit und sich das Kugelschreiberklicken zu ersparen.
    »Typisch, Professor Schludrigkeit«, murmelt sein Assistent Grünschnabel abfällig. »Sollte sich endlich zur Ruhe setzen.«
    Frau Schick würgt empört den Griff ihrer Handtasche. »Junger Mann, das habe ich gehört! Freda kann in dem Gutachten nicht drinstehen, weil sie erst gestern Nacht bei mir aufgetaucht ist. In den Nächten zuvor hat sie nur unsichtbar im Keller rumgeächzt, wahrscheinlich auf der Suche nach ihrem Scheusal von Hut. Ohne den hätte ich sie ja gar nicht erkannt.«
    Der Grünschnabel liest weiter Korrektur, klickt mit dem Kuli.
    Einfach unverschämt! Herr Ludrikeit hat sie gründlich untersucht und keine Faxen mit seinem Kugelschreiber veranstaltet. Eine halbe Stunde lang hat sie eingeklemmt wie ein Spatz im Rauchfang in einer Kernspin-Röhre gelegen und die Pastorale von Beethoven gehört. Armer Beethoven, nur gut, dass er seine akustische Hinrichtung nicht mitanhören musste und bereits zu Lebzeiten stocktaub war. Dabei hat der liebe Gott es hoffentlich belassen. Die heiter getupften Pastelltöne von Beethovens Meistersinfonie wurden nämlich vom Henkersbeil-Klacken, mit dem die Maschine Schnittbilder ihres Gehirns anfertigte, zu einem Tonsalat zerhackt, der Frau Schick beruhigen sollte. Das Gegenteil war der Fall gewesen. Statt an eine Landpartie mit murmelnden Bächen und Goldammergesang hat sie an Lämmer unter Trommelfeuer gedacht. Und als das Klack-klack kein Ende nehmen wollte, an ihre Flucht aus Ostpreußen.
    Mit elf Jahren ist sie unter dem Beschuss der angreifenden Russen und dem bellenden Gegenfeuer letzter deutscher Einheiten mit einem Säugling auf den Armen bis nach Köln geflohen. Allein. Die meiste Zeit zu Fuß, und das ausgerechnet in die Villa von Schreckschraube Freda. Die letzte überlebende von Todden hat sie samt Baby kurzerhand im feuchten Waschkeller einquartiert. Dabei stand die Villa darüber wie durch ein Wunder noch. Wer so was überlebt, fürchtet keine Gespenster mehr, er hat nämlich die Hölle auf Erden durchquert. Damals hätte sie Grund gehabt, verrückt zu werden, ist sie aber nicht.
    Nach dem Ausflug in die Kernspin-Röhre hat der Professor noch Hirnflüssigkeit abgezapft und sie musste Rechenaufgaben lösen und Uhren malen. Ihre Uhren gingen alle richtig. Was 156 minus 39 ergibt, hat sie auch fix herausbekommen, und zwar im Gegensatz zum Nervenprofessor ohne Taschenrechner.
    Das hat Herrn Ludrikeit sehr beeindruckt und ein bisschen gefuchst, weshalb sie wie ein Schulkind nachsitzen und noch drei Aufgaben lösen musste. Im vierstelligen Bereich. Malnehmen und Teilen mit großen Zahlen haben sie auch noch einmal durchgenommen.
    Dafür hätte ihr Verstand ein Fleißbildchen verdient und der Herr Professor eins hinten drauf. Aber gegen diesen Grünschnabel ist er ein Heiliger.
    »Wollen wir doch einmal sehen …« Der Grünschnabel beugt den Rücken vor und rollt mit seinem Drehstuhl zu einem Computer mit Riesenbildschirm. Er sieht aus wie eine Schildkröte auf Rädern und klickt nun statt auf dem Kugelschreiber auf einer Maustaste herum. Auf dem Bildschirm erscheint die Aufnahme eines Gehirns. Muss ihres sein. Igitt, sieht das grauenhaft aus! Wie Wurmgewimmel und unverdaute Erdnussflips! Da waren ihr die alten Röntgenbilder von Totenschädeln
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