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Frau Schick macht blau

Frau Schick macht blau

Titel: Frau Schick macht blau
Autoren: Ellen Jacobi
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»beschdelle«.
    »Karl-Dieder«, geht Hedwig dazwischen. »Jetz hald de Gosch! Wie peinlisch willschde denn noch werrn?«
    Die Frage sollte Hedwig besser ihm stellen, findet Herberger und stellt seinen Kaffeebecher auf dem Tischchen vor sich ab. Ein Mann im besten Alter mit Liebeskummer wie ein pickeliger Teenager. Das ist doch lächerlich!
    Sein Blick flüchtet zum Bildschirm seines Notebooks. Lustlos stottern seine Finger irgendeinen Unsinn über Lagunen und die Magie der Tropen in die Tasten. Ziemlich öde Tropen kommen dabei heraus. Gegen so ein Geschreibsel klingt jeder Flyer für Aldi-Reisen, als stamme er aus Prousts Feder.
    Arbeit bringt ihn auch nicht weiter. Er hat die Aufmerksamkeitsspanne einer Fliege für alle Themen außer Nelly.
    In seiner Sturm- und Drangperiode, den frühen Zwanzigern, war Verliebtheit ein willkommener Treibstoff, der ihn beim Herumreisen und Schreiben befeuerte. Er konnte sich gar nicht oft genug verlieben – am liebsten gleich mehrfach. Bis ihm im Alter von 27 Jahren eine Spanierin mit dem mythisch schönen Namen Penelope das Herz brach – ebenfalls mehrfach. Sie heiratete nicht nur seinen besten Freund, sondern schenkte diesem überdies einen Sohn. Seinen Sohn, wie Herberger erst viel später erfuhr.
    Eine Weile hat er zu Tode betrübt einfach weitergelebt. Danach interessierte ihn die debile Glückseligkeit frisch Verliebter nicht mehr. In seinen mittleren Jahren hat er es vorgezogen, es mit Jean Paul zu halten. »Wenn Frauen lieben, lieben sie in einem fort. Männer haben dazwischen zu tun.«
    Er hatte viel zu tun, besonders wenn die Objekte seiner flüchtigen Begierden Dinge wie die Anmietung von Immobilien oder Bausparverträge ins Spiel brachten. Kein Thema für ihn, den Hannes Wader der Reisereportage. Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort. Waders melancholische Frage, ob es »Zeit wär zu bleiben und nun was ganz anderes zu tun«, passte jahrzehntelang nicht in seine Lebensmelodie. Jetzt drängt sie sich auf.
    Herberger schüttelt den Kopf. Falsch. Er hat die Frage für sich beantwortet. Nur Nelly nicht.
    Warum nur? Sie kann ihre Begegnung doch unmöglich als Reiseflirt abgehakt haben. Oder doch? Herbergers Puls beschleunigt sich, rast auf einmal wie der eines Formel-1-Gewinners in der Finalrunde oder – treffender – kurz vor einem Zusammenstoß mit der Bande.
    Weil Hedwig gerade einen Boxenstopp in der Toilette einlegt, kann Karl-Dieter ihn vor dem Aufprall retten. »Kumme Se mit Ihrer Arbeit nedd vornewegg?«, erkundigt er sich verschwörerisch, »trete Se uff der Stell?«
    Ja, nickt Herberger mehr für sich als zur Antwort und steckt sich die Kopfhörer in die Ohren.
    » Unchain my heart! Baby set me free« , röhrt fordernd Joe Cockers Reibeisenstimme. Herberger schließt ergeben die Augen. Fluchtversuche scheinen zwecklos zu sein. Er tritt wirklich »uff der Stell«, und das tut weh, seit Nelly seine erstarrte Gefühlswelt entfrostet hat.
    Noch nie in seinem Leben hat er einen derartig überwältigenden Start in eine Beziehung erlebt. Er kennt Nelly erst seit drei Wochen – natürlich dank einer Reise. Einer Rundreise auf dem spanischen Jakobsweg, die er beileibe nicht angetreten hatte, um sich so heftig zu verlieben wie in seinen Zwanzigern, sondern um Nachforschungen über seinen verlorenen Sohn anzustellen. Unter seinem Alias Herberger und in der Rolle des Chauffeurs einer grantigen Unternehmerswitwe.
    »Verrückter Drachen« wäre die treffendere Beschreibung für Frau Schick. Die geborene Freifrau Rosalinde von Todden hat ihn mit gespielten Herzattacken und ihren Walkingstöcken traktiert, wenn er nicht wollte, wie sie wollte. Gleichzeitig hat sie eine komplette Pilgergruppe, an die sie sich angeschlossen haben, auf Abwege vom Camino, an den Rand des Wahnsinns und letztlich alle Mitglieder des Wandertrupps zu erstaunlichen Erkenntnissen über sich selbst geführt. Der verrückte Drachen ist auf verquere Art sehr feinfühlig, manchmal fast weise.
    Frau Schick hat er es auch zu verdanken, dass sie in einem baskischen Wald Nelly entdeckt haben. Ein schniefnasiges Persönchen mit wirrer Frisur und in Designerlumpen. Nach Jahren der Liebesabstinenz war Nelly gerade ein Latin Lover namens Javier samt ihrem Mietauto und sämtlichem Bargeld abhanden gekommen. Frau Schick hat sich sofort in ihr Findelkind verliebt, Herberger erst später, auf Umwegen, die Frau Schick ersonnen hat.
    Lange vor ihm hat die alte Dame gespürt, dass seine verschanzten
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