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Frau Schick macht blau

Frau Schick macht blau

Titel: Frau Schick macht blau
Autoren: Ellen Jacobi
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überarbeitet oder damit beschäftigt, über die nächste Reise nachzudenken. Als Herberger ist er verliebt, weiß nicht, ob glücklich oder unglücklich, und klemmt im Schraubstock Sehnsucht fest. Verflixte Nelly! Nicht an sie zu denken scheint unmöglich zu sein! Darum hat er Tahiti vorgestern und nach sehr unvollständiger Drehortrecherche den Rücken gekehrt. Es war auch ein Abschied von Eckehart Gast, den er abstreifen will wie ein abgetragenes Lieblingshemd. Im Moment fühlt er sich ohne dieses Hemd allerdings nackt und hilflos wie ein frisch geschlüpftes Küken.
    Eine Stewardess mit Rollwagen unterbricht seine Gedanken und Karl-Dieters Dreharbeiten. Sie serviert das Frühstück. Herberger nimmt Kaffee, Karl-Dieter das ganze Programm. Nicht um es zu essen, sondern um es nach kurzer Gaumenprobe zu verfilmen und eine hessische Restaurantkritik zum kulinarischen Angebot der Air France beizusteuern.
    »Also französische Kisch is des natürlisch nedd.«
    Herberger ist dankbar für die Ablenkung, nimmt einen Schluck Kaffee und verzieht das Gesicht. Schmeckt tatsächlich wie ein Gemisch aus »Badderriesäure und Bidderrsalz«. Flugzeugkaffee eben.
    Der unverwüstlich fröhliche Flugexperte Karl-Dieter empfiehlt seinem neuen Freund stattdessen den Tomatensaft, weil der »iwwer de Wolke ein-ma-lisch legger« ist. »Wisse Se aa, warum?«
    Ja, Herberger weiß es, sagt aber »Nein«. Er hat eine Pause von Nelly nötig und hört sich deshalb bereitwillig an, wie Karl-Dieter einen Magazinartikel zusammenfasst, den er selbst als Reporter Gast verfasst hat. Der niedrige Luftdruck lähmt und verwirrt die »Geschmacksnärffe«. Dreimal mehr Salz braucht es in »Flugzaischkost«, damit man etwas schmeckt. Einzig Tomatensaft, den die meisten Menschen am Boden weiträumig meiden und »muffisch finde«, entfaltet in Flughöhen ab 24 500 Fuß ein besseres, höchst fruchtiges Aroma. Deswegen ist er über den Wolken so begehrt, dass allein die Lufthansa fast »zwaa Millione Lidder« pro Jahr davon ausschenkt, »samt Pfeffertütschen und Servieddsche«, schließt Karl-Dieter.
    Hat mich so was tatsächlich einmal interessiert?, fragt sich Eckehart verwundert. Ja, hat es, und für gewöhnlich findet er verschrobene Babbelköpfe wie Karl-Dieter, den seine Hedwig gerade noch einmal zum Stillschweigen und Stillsitzen verdonnert, amüsant. Anders als Business-Vielflieger, die an ihrer Financial Ti m e s wie Fixer an der Nadel hängen und Sonnenaufgänge für eine überbewertete Begleiterscheinung halten, hat sich der Columbus mit Cowboyhut Fähigkeiten bewahrt, ohne die kein Weltenbummler auskommt und die jede Zumutung des Lebens entschärfen: Begeisterung, Abenteuerlust und Entdeckerfreude.
    Herberger sind diese Fähigkeiten auf Tahiti abhanden gekommen. Dort, im Paradies unter wiegenden Palmen und an Postkartenstränden, wartete es sich nämlich besonders ungemütlich – weil vergeblich – auf einen Anruf aus Düsseldorf. Ein Anruf, der über eine Kursänderung seines Lebens entscheiden wird.
    Ein Anruf von Nelly.
    Zum Teufel, warum kann sich dieses sture Frauenzimmer nicht zu einer Antwort durchringen? Tahiti liegt zwar am Ende der Welt, ist aber per Fax, E-Mail, Telefon, Handy, Skype oder seinetwegen auch per Telegramm zu erreichen. Mehr als zwei Buchstaben bedarf es doch nicht, um ihn von Schlafmangel, gereizter Stimmung und einer Vorliebe für Schmachtballaden wie Miss you like crazy zu kurieren, die ihn überallhin zu verfolgen scheinen. Etwa ins Programm des Bord Entertainments.
    Er hat noch nie, niemals in seinen 54 Jahren, einer Frau einen Heiratsantrag gemacht, noch dazu schriftlich. Warum lässt sie ihn so zappeln? Warum erreicht er bei anonymen Testanrufen auf ihrem Handy – zugegeben lächerlich, aber er hat seinen Stolz – nur ihre Mailbox oder ihre ihm unbekannte Tochter Becky? Eine unbekümmert klingende Becky, was ihm zumindest Visionen von Unfall, Krankheit oder Schlimmerem erspart, aber seinen Hang zu ungesunden Pulsfrequenzen nicht vermindert.
    Nelly ist seit Langem die erste Frau, bei der ihn die Vorstellung, sie könne nur an einer Liaison interessiert sein, einen anderen kennenlernen oder sich entscheiden, mit niemandem eine Beziehung einzugehen – was sie nach ihrer Scheidung tatsächlich jahrelang vermieden hat –, Panik einjagt. So wie jetzt.
    »Ihre Hand ziddert, Herr Herberjä«, schaltet sich prompt Karl-Dieter ein. »Isch sage doch, der Kaffee is nix.« Er hebt die Hand, um Herberger einen Tomatensaft zu
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