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Frau Schick macht blau

Frau Schick macht blau

Titel: Frau Schick macht blau
Autoren: Ellen Jacobi
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öfter?«

2.
    Sonores Triebwerkbrummen, Gähnen, Reck- und Streckbewegungen, Tischchen klappen, Sichtblenden werden hochgeschoben. Das Flugzeug erwacht mit den dazugehörigen Nebengeräuschen. Vor den Toilettenkabinen stehen Passagiere in Gratisschläppchen und mit Zahnbürsten Schlange, andere schwenken den Stewardessen ihre Kaffeebecher zwecks Nachfüllung entgegen.
    Kurz hinter Grönland hat die Sonne mit spektakulärem Farbenspiel die Nacht verdämmern lassen. Nun triumphiert sie über einen Himmel in monochromem Blau, Wolkenflor und das Wellengeriffel des Atlantiks. Das Übliche eben, stellt Herberger übernächtig und mit einem gereizten Blinzeln durch das Fenster fest. Kein Grund, darüber eine vertonte Dokumentation in Spielfilmlänge zu drehen. Noch dazu auf Hessisch.
    Eine Digicam schwebt direkt über seinem Kopf. »Is des schee. Nä, is des schee, oder, Herr Gast?«
    Herberger schließt flugs wieder die Augen. Über den Wolken ist die Freiheit für ihn momentan leider alles andere als grenzenlos. Karl-Dieter, Rentner aus Pfungstadt, hat sich ihm direkt nach dem Start in Los Angeles vorgestellt, um seine Entdeckung Amerikas zu erläutern und hat – nach kurzem Stutzen – in Herberger leider Eckehart Gast, und zwar den »Eggehart Gast«, den »beschde Reisereporter iwwerhaupt«, erkannt.
    Seit sein wechselvolles Leben in Asien unter dem Titel Buddha für Anfänger für das Kino verfilmt und vor allem seit der Film kürzlich im Fernsehen ausgestrahlt wurde, nutzt ihm sein privates Pseudonym Herberger bei weltreisenden Rentnern und jungen Backpackern leider gar nichts mehr, auch wenn er sich noch so damit identifiziert. Sein einprägsam vernarbtes Kinn und Talkshows zum Filmstart haben den Wiedererkennungseffekt noch erhöht. Zudem führen seine Klassiker Amerika für einen Dollar und Back from Outback wieder die Bestenliste der Reiseliteratur an. Seine Homepage Gast-Reportagen verzeichnet bis zu zehntausend Besucher am Tag.
    Ein flüchtiger Effekt, wie Herberger weiß, denn er hat immer wieder einmal Warhols berühmt-berüchtigte fünfzehn Minuten Ruhm erlebt. Als gefragter Geologe und Diamantenjäger, als Kriegsreporter, in australischen Zeitungen kurzfristig sogar als vermeintlicher Mörder und jetzt als Reiseautor.
    Völlig übermüdet konnte sich Herberger erst in Höhe Chicago hinter seinem Laptop verschanzen und den begeisterungsfähigen Karl-Dieter mitsamt Cowboyhut wieder seiner nicht ganz so begeisterten Gattin Hedwig überlassen.
    Jetzt bannt Karl-Dieter die Entdeckung des Himmels auf den Speicherchip. »Hedwisch! Jetz gugk doch auch emol! Des is einmalisch!«, jubelt er.
    »Karl-Dieder, mer häwe de goanze Keller voll vunn dein Sunnaufgänge in Flugzaischen.«
    »Den aber ned!«
    »Jetzt setz dich mol hie. Du hoggsd dem arme Herrn Gast bald uffm Schoß! Der muss doch schaffe!«
    »Noa, der schläft, suunschd täte mer uns unnerhalde.«
    »Der dudd blous sou, weil du so uffdringlisch bist.«
    »Der schlä-hä-ft!«
    »Der hot sain Laptop uffgeklappt, Karl-Dieder.«
    »Psst, Herr Gast? Herr Ga-ha-st, schlafe Se oder schaffe se?«
    Weder noch, denkt Eckehart und hebt schicksalsergeben Augenlider und Mund zu einem Lächeln. Immerhin verdankt er Menschen wie Karl-Dieter sein beträchtliches Einkommen, mit dem er sich demnächst zur Ruhe setzen will. Er rappelt sich in seinem Sitz und aus gespieltem Schlaf hoch, unterdrückt seine gereizte Stimmung. Sie hat wenig bis nichts mit Karl-Dieter zu tun, sondern mit Nelly. Verflixtes Frauenzimmer!
    Er wünscht »Guten Morgen«.
    Karl-Dieter beginnt entzückt, ihm sein Fachwissen über Wolkenformationen kundzutun und eine Wettervorhersage zu improvisieren. »Reschts wird’s finster.« Karl-Dieter glaubt, auf »Eurobba« kommt ein »Gewidder« zu.
    Eckehart nimmt sich vor, künftig nur noch sein Alias Herberger zu verwenden und bittet Karl-Dieter, das ebenfalls zu tun.
    »Woaanse moin, dann ebbe Herberjä«, willigt der Cowboy aus Pfungstadt ein. Er ist sichtlich enttäuscht darüber, seinen berühmten Reisegefährten wieder zu verlieren.
    »So nennen mich meine Freunde«, besticht ihn Eckehart, und in Karl-Dieters Gesicht geht zum zweiten Mal an diesem Morgen die Sonne auf.
    Das wäre geschafft. Herberger ist wieder Herberger und fühlt sich in dieser Rolle wohl, wenn auch keinesfalls entspannt. Als Herberger quält ihn nämlich ein Gemütszustand, der Eckehart Gast in dieser Intensität jahrelang fremd war. Als Eckehart Gast wäre er jetzt übernächtigt,
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