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Der Bastard von Tolosa / Roman

Der Bastard von Tolosa / Roman

Titel: Der Bastard von Tolosa / Roman
Autoren: Ulf Schiewe
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Castel Rocafort
    Las Corbieras, Anno Domini 1131
    E s waren die Gänse, die zuerst Alarm schlugen.
    Ich trat an eines der Turmfenster. Eigentlich nur eine schmale Öffnung in den rauhen Quadern des alten Turms. Von hier oben überblickt man unser Dorf und dahinter das sich nach Osten zu leicht absenkende Tal.
    Auf der Gemeindewiese hinter der Schmiede sammelten sich unruhig schnatternd die großen, weißen Vögel. Sie reckten ihre langen Hälse und stießen durchdringende Warnschreie aus, stets ein Zeichen, dass sich Fremde dem Dorf nähern. Ich konnte mir nicht helfen, aber im Geiste sah ich wieder gepanzerte Reiter mit erhobenen Schwertern ins Dorf galoppieren, die ersten Leute niedermachen, Brandfackeln auf die Hüttendächer werfen und schreiendes Dorfvolk zusammentreiben.
    Ich horchte.
    Keine Hufgeräusche. Kein Reitertrupp, dachte ich erleichtert und atmete tief durch, um die üblen Gedanken zu verscheuchen. Warum waren mir diese Bilder in den Sinn gekommen? Das lag doch schon so weit zurück. Und hatten wir seitdem nicht friedlich gelebt? Ich schalt mich einen misstrauischen Toren, der sich hinterrücks von bösen Erinnerungen überfallen lässt. Trotzdem, alte Soldatengewohnheiten sterben langsam, und so bin ich wachsam und unruhig, wenn fremde Kriegsleute durch mein Land reiten. Aber danach sah es heute nicht aus. Alles schien wie gewöhnlich.
    Draußen ließ eine warme Nachmittagssonne die Herbstfarben leuchten. Die Gänse waren schwer und fett dieses Jahr, dachte ich zufrieden. Ich werde der Köchin auftragen, mir zum Tag des Herrn einen der Vögel zu schlachten. Doch vielleicht sollte ich warten, bis die Maronen für eine gute Füllung eingesammelt waren oder bis die Bauern im Wald die Schweine nach Trüffeln suchen ließen. Beim Gedanken an solche Leckereien meldete sich aufdringlich mein Magen.
    Ich kniff die Augen zusammen und spähte noch einmal angestrengt aus dem Turmfenster. Unten auf der Straße, die durch mein Land führt, war nichts zu erkennen. Bis hier oben verirrt sich selten jemand, denn die Burg thront auf einem Felsen hoch über der Straße und dahinter, gegen Süden zu, liegt, halb versteckt, unser Dorf auf einer sanft ansteigenden Hochebene, die sich bis zum Fuß des Berges Bugarach erstreckt.
    Irgendwo am Dorfeingang schlug ein Hund an. Ich erkannte die rauhe Stimme des zottigen, einäugigen Hirtenhundes, der dem alten Schäfer Berard gehört. Über die Hüttendächer hinweg starrte ich auf den staubigen Weg, der sich zwischen Bäumen den Hang heraufschlängelt. Nachdem sich nun auch der Hofhund des leibeigenen Bauern Peire vernehmen ließ, entdeckte ich endlich eine schmale Gestalt, die zu uns aufstieg. War es der Schreiberling, den ich erwartete?
    Der Wanderer näherte sich dem Dorfeingang, und ich konnte tatsächlich die graue Kutte eines Mönches ausmachen. Aber keine Schuhe. Der Kerl marschierte unbekümmert mit bloßen Füßen einher. An einem Stock, den er über der Schulter trug, hing ein Leinenbündel, und, nach den lebhaften Bewegungen zu urteilen, musste es sich um einen jungen Burschen handeln.
    Inzwischen waren alle Hunde des Dorfs in Aufruhr geraten, und ihr wütender Lärm schallte zu mir empor. Verdammte Köter! Eine Rotte von ihnen umringte laut bellend den kleinen Mönch, der verschreckt stehen geblieben war. Sein Bündel lag im Staub, und er erwehrte sich der Hunde mit dem Stock, was diese umso mehr reizte. Jetzt liefen auch die Kinder herbei und hüpften lachend um den Mönch herum, der immer heftiger nach den Hunden stieß.
    Bauer Peires stämmige Frau und ein paar Knechte kamen dem armen Kerl zu Hilfe. Sie verscheuchten die Hunde mit scharfen Worten und gut gezielten Erdklumpen. Die Bauersfrau wollte ihn gerade willkommen heißen, als der sein Bündel an sich riss, eine Lücke in der Hundemeute nutzte und rannte, was die Beine hergaben, verfolgt von einem Schwarm schreiender Kinder und kläffender Köter. Neugieriges Volk lief aus den Hütten und machte große Augen, wie der Junge mit fliegenden Rockschößen den steilen Weg zur Burg heraufjagte und sich über die Zugbrücke in den engen Hof der Vorburg rettete.
    Dorthin wagte die Meute nicht, ihm zu folgen. Enttäuscht standen sie draußen. Die Kinder johlten und schnitten Grimassen, und die Hunde bellten überreizt, bis einer der Wachmänner sie verscheuchte. Vor seinem langen Spieß traten sie widerwillig den Rückzug an. Langsam kehrte die gewohnte Ruhe wieder ein, nur ein paar Dörfler steckten die Köpfe
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