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Fleisch essen, Tiere lieben

Titel: Fleisch essen, Tiere lieben
Autoren: Theresa Baeuerlein
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chinesische Kunstfilme meistens. Es kommen immer viele Gäste, denn der Garten ist sehr schön. Nachdem der Film zu Ende war, unterhielt ich mich mit einem Freund von Timm, der Lorenz hieß, den ich im Geiste aber Roberto getauft hatte, weil er mich mit seinem Lockenkopf und dem hageren Gesicht an den Regisseur Roberto Benigni erinnerte. Wir verstanden uns gut, und er schlug vor, demnächst gemeinsam zu kochen. Wir beide, mein Freund und seine Freundin. »Wir könnten grillen«, schlug er vor. Ich nickte begeistert. »Es müsste aber vegetarisch sein«, setz te er hinzu. Etwas in meinem Gesicht muss Zweifel verraten haben. »Ist das ein Problem?«, fragte er. Noch ein halbes Jahr vorher hätte ich bedenkenlos verneint, froh sogar, weil ich es mit einem zu tun hatte, den mehr als der eigene Appetit interessierte.
    Aber so, wie die Dinge standen, fand in mir ein Kampf statt. Ich mochte Roberto, ich war müde, und ich wollte unser nettes Gespräch nicht in ein Diskussionsforum verwandeln. Aber wie das so ist, wenn man sich wirklich für eine Sache interessiert: Ich konnte nicht widerstehen. Ich atmete tief durch und fragte: »Wieso muss es unbedingt vegetarisch sein?«
    Eine Stunde später ging ich nach Hause und fühlte mich einsam. Ich hatte Gespräche dieser Art schon viele Male erlebt, mal als eine, die mitdiskutierte, mal als Zuhörerin. Meine Haltung war klar gewesen, für mich selbst und andere: Fleisch war lecker, aber es zu essen, war letztlich egoistisch, primitiv, eine dieser Handlungen, an denen die Menschen noch festhielten, obwohl sie es eigentlich schon besser wussten. Ähnlich wie der Marlboro-Man mit seiner Zigarette im Licht der untergehenden Sonne an positiver Symbolkraft verloren hatte, so hatte auch das saftige Steak an Attraktivität verloren. Eine Anti-Fleisch-Attitüde gehörte für mich zu den wenigen Dingen, die noch ein erholsames, weil komplexitätsreduziertes Denken zuließen. Umso seltsamer, jetzt aus Robertos Mund meine ehemaligen Argumente zu hören.
    Es gibt fünf Hauptargumente, die gegen den Verzehr von Fleisch angeführt werden: Moral (Dürfen wir töten?), Welthunger (Tiere fressen den Armen ihr Essen weg), Gesundheit (Vegetarier leben länger), Klima (Kühe rülpsen Treibhausgase) und Umwelt (z. B. Wasserverbrauch, Gülleentsorgung). Roberto hatte die Fakten alle parat, dabei war Roberto noch nicht einmal selbst Vegetarier. Aber seine Freundin war es, und er hielt sie für einen besseren Menschen. (Diese Konstellation findet man häufiger. Die meisten Vegetarier sind Fraue n ¹⁸.) Ich hatte versucht, ihm zu erklären, was ich selbst gerade erst gelernt hatte. Aber je mehr ich redete, desto mehr fühlte ich, wie ich tiefer in eine Schublade hineinglitt, in der ich partout nicht sein wollte: Auf einmal gehörte ich zur Fleischlobby. Ich sagte, dass Fleisch nicht gleich Fleisch war und dass mancher Veganer erbleichen würde, wenn er wüsste, welchen Schaden seine Tofuburger anrichten können. Roberto seufzte und hob die Augenbrauen. »Pflanzen sind total anspruchslos. So eine Sojapflanze wächst auch in der Petrischale im Labor«, erklärte er geduldig.
    Ich denke immer wieder an diesen Satz. Nicht, weil er völlig falsch wäre. Sondern weil mir danach einfach die Spucke wegblieb. Weil er auf verblüffende Weise zeigt, wie fremd uns unsere Nahrung ist. Wie groß die geistige Lücke zwischen dem, was wir in der Supermarkttüte und auf dem Teller haben, und den Feldern, Ställen und Schlachthäusern, wo es produziert wird. Jeder kennt die Legende, wonach von der Schokoladenwerbung verdorbene Schulkinder bei einer Befragung erklärt haben sol len, Milchkühe hätten ein lilafarbenes Fell. Die Geschichte klingt absurd, ist es aber gar nicht. Wir wissen vielleicht gerade noch, dass Kühe schwarz-weiß oder braun sind. Aber sehr viel weiter reicht es nicht. Wie auch? Von den 80 Millionen Deutschen arbeiten nur 1,3 Millionen in der Landwirtschaft. ¹⁹ Hinzu kommt eine Reihe von Experten und Wissenschaftlern, die sich ebenfalls mit dem Thema auskennen. Die überwältigende Mehrheit hat keine Ahnung, weil sie Weizenfelder, Bauern und Milchkühe bestenfalls aus der Ferne kennen (wenn sie aus dem Autofenster sehen). Uns fehlt die Erfahrung, der Zugang zu den Stellen, an denen Nahrung entsteht. Und das gilt nicht nur für Stadtbewohner. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen und habe immerhin selbst als Kind beim Bauern Milch geholt. Die Kühe standen in einem sehr großen Stall, die Euter
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