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Fleisch essen, Tiere lieben

Titel: Fleisch essen, Tiere lieben
Autoren: Theresa Baeuerlein
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dünne Scheiben Rinderschinken. Was soll ich sagen: Ja, es schmeckte noch. Und wie! Mehr noch: Irgendetwas in mir schmolz zusammen. Ich fing an, Hühnerbrüste zu kaufen, bestellte Schnitzel, aß Wurst. Kurze Zeit erwog ich sogar den Grillhähnchen-Wagen vor dem Supermarkt. Ich erschreckte mich selbst damit, dass es mir mit Fleisch besser ging als ohne. Und es lag nicht am Eisenmangel. Den hätte ich auch als Vegetarierin mit einer ausgewogeneren Ernährung ausbügeln können, oder mit Tabletten. Was mich wirklich trotz schlech ten Gewissens der Fleischtheke auslieferte, war, man kann es nicht anders sagen, die Lust.
    Ein ziemlich dominanter Teil meines Bewusstseins wollte Fleisch, wollte Leberwurstbrote, das duftende Hühnercurry beim Thailänder, verlangte nach einer Ernährung ohne intellektuelle Zwangsjacke. Es war nicht so, dass das Fressen für mich auf einmal wichtiger gewesen wäre als die Moral. Der Fleischgeschmack war nicht mehr und nicht weniger als eine sinnliche Befriedigung. Was meinem Vegetarismus wirklich das Genick brach, war das Gefühl der Befreiung: Nahrung und Ideologie, so stellte ich fest, das ist einfach keine gute Mischung.
    Nach der ersten rauschhaften Phase meiner Rückkehr ins Fleischliche meldete sich das Gewissen wieder. Die Unschuld meiner frühen Wurst-Ära war dahin. Bei jedem Bissen dachte ich daran, dass ich ein totes Tier im Mund hatte. Ein Tier, das leben, nicht sterben wollte, genau wie ich. Leider war meinem Körper mein schlechtes Gewissen egal. Meine Zunge verlangte nach Wildschweinwurst, wenn ich an dem Feinkoststand des netten Belgiers auf dem Wochenmarkt vorbeiging, mein Kopf schalt mich unterdessen »Egoistin«. Das Resultat war, dass ich reflexartig predigte. Ich war immer mit Männern zusammen, die regelmäßig Fleisch aßen und es offensichtlich sehr genossen. Je mehr Zeit sie mit mir verbrachten, desto schlechter fühlten sie sich dabei. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie man offen Freude an etwas haben konnte, das die Welt eindeutig zu einem schlechteren Ort machte. Ja, ich aß zugegebenermaßen den Schinken aus ihrem Kühlschrank, aber wenigstens fühlte ich mich schlecht dabei! Fleisch zu essen war das kulinarische Equivalent zum lächerlich muskulösen, spritschluckenden Geländewagen, das blutige Steak, das mein Freund Martin so liebte, Symbol für Egoismus und Barbarei.
    Es gibt so viele Gründe dafür, kein Fleisch zu essen, dass Fleischliebhaber sich in zwei Kategorien einteilen lassen: diejenigen, die sich leicht schuldbewusst, aber mit wässrigem Mund über ihre Teller ducken, und diejenigen, die ihre Fleischeslust trotzig-stolz vor sich hertragen. Nach dem Motto: Der Mensch ist auch nur ein Tier, was der Löwe in der Savanne darf, kann für mich nicht verboten sein. Die Wahl zwischen Weizen- und Schweineschnitzel ist damit nicht mehr einfach nur eine Frage des Geschmacks. Es geht um Leben und Tod. Und das alles noch vor dem Mittagessen.
    Das Seltsame an der Moral von Fleischessern ist: Die meisten mögen Tiere. Oder sie haben zumindest nicht so viel gegen sie, dass sie ihnen einen grausamen Tod wünschen würden. Trotzdem tolerieren sie die Tatsache, dass die Tiere, die sie mehr oder minder täglich essen, unter Bedingungen leben und sterben, die sie ihrem schlimmsten Feind nicht wünschen würden. Vom geliebten Haustier ganz zu schweigen. Ja, gerade deutsche Verbraucher gelten im europäischen Vergleich sogar als sehr tierschutzbewusst. Marktforschungsstudien habengezeig t ⁴, dass sie bereit sind, für artgerecht produziertes Fleisch mehr Geld zu bezahlen, und dass die Art der Haltung als wichtiges Kriterium beim Fleischkauf empfunden wird.
    Wie passt das zusammen? Immer weniger, wie es scheint. Der Druck auf Fleischesser wächst. Dabei geht es um mehr als nur das leichte Unbehagen, das jeder Fleischliebhaber empfinden wird, der sich bewusst macht, dass das Steak, das er genussvoll verspeist, vor nicht allzu langer Zeit Teil eines lebenden Tieres war. Fleisch wird nun einmal nicht hergestellt wie Bleistifte oder T-Shirts, die durchbluteten Muskeln und Innereien, die auf dem Teller landen, braucht das Tier zum Leben. Damit wir diese Körperteile essen können, muss das Tier sterben. Aber nicht nur der Tod des Tieres spielt eine Rolle, sondern auch dessen Leben. Wer sich auch nur ein bisschen darüber informiert, wie die Kühe, Rinder, Schweine, Hühner, Puten und mittlerweile auch Strauße behandelt werden, die wir als Fleischlieferanten nutzen, kann
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