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Fleisch essen, Tiere lieben

Titel: Fleisch essen, Tiere lieben
Autoren: Theresa Baeuerlein
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steckten in Melkmaschinen. Die Kälbchen saugten an meiner Jacke. So nah war ich der Quelle eines Grundnahrungsmittels nie wieder. Aber deswegen verstand ich längst nicht mehr über Milchwirtschaft als ein Stadtkind.
    Natürlich können Pflanzen in einer Petrischale wachsen – bis zu dem Grad, an dem die Petrischale zu klein für sie wird. Aber das ist nicht der Punkt. Der Grund dafür, dass Robertos Satz als Anti-Fleisch-Argument völlig sinnlos ist, liegt in dem Gedanken, dass das Gemüse im Laborschälchen niemandem schadet. Die Pflanze in der Petrischale ist das Symbol für eine bessere, reinere Nahrungsmittelproduktion, der ultimative Kontrast zu dem dreckigen Geschäft der Fleischherstellung, das fett gemästete, lebende Tiere in einem blutigen Prozess zu Schnitzeln verarbeitet. Tiere werden eingesperrt, angekettet, gemästet und getötet. Pflanzen wachsen überall, sie sind anspruchslos und unbesiegbar. Sie kriechen durch die kleinsten Ritzen, brechen sogar durch Asphalt. Beim Wachsen verbrauchen sie scheinbar nur, was ohnehin reichlich vorhanden ist. Und wenn wir sie aus dem Boden rupfen, geben sie keinen Laut von sich. Es ist viel leichter, eine Sojapflanze umzumähen, als eine Kuh zu ermorden. Eine Pflanze braucht nur Licht, Luft, Erde und Wasser zum Wachsen. Und davon gibt es ja scheinbar genug.
    Es sind ein paar ganz grundsätzliche Dinge, die man sich klarmachen muss, bevor man dem Glauben verfällt, Pflanzen seien anspruchslose, pflegeleichte Wesen, deren Konsum keinen Schaden anrichtet. Es sind vor allem zwei Dinge: Zum einen sind Pflanzen Lebewesen, die wachsen, atmen und konsumieren. In dieser Hinsicht sind sie uns sehr ähnlich. Auch Pflanzen müssen »essen«. Und bei ihrer Ernährung sind sie überraschenderweise wesentlich weniger pingelig als wir. Anders gesagt: Aus Pflanzenperspektive ist eine vegetarische oder gar vegane Ernährungsweise einfach absurd. Lierre Keith verweist auf die Geschichte eines Obstbaums, der Menschen aß. Sie zitiert diese Geschichte aus dem Buch »The Apple Grower« von Michael Philipps, worin ein Apfelbaum beschrieben wird, der auf der letzten Ruhestätte des Gründers von Rhode Island, Roger Williams, und seiner Frau Mary Sayles, wuchs. Beim Öffnen der Gräber stellte man fest, dass die Wurzeln des Baums in die Gräber der beiden Toten hineingewachsen waren. Sie hatten die Form der Skelette angenommen, von denen nichts mehr übrig war – der Baum hatte die organischen Überreste des Ehepaars Stück für Stück für sein eigenes Wachstum verwertet.
    Andererseits haben Menschen in der Landwirtschaft für Pflanzen die Rolle der Ernährer übernommen. Um die reiche Ernte einzufahren, an die wir uns gewöhnt haben, versorgen wir Mais- und Weizenfelder, Tomatenstauden und Beerensträucher mit Nährstoffen. Daran ist im Prinzip nichts auszusetzen. Allerdings pflegt die moderne, industrielle Landwirtschaft dabei einen Stil, der Vegetariern und Fleischessern gleichermaßen die Haare zu Berge stehen lassen dürfte. Und das noch, bevor der Metzger sein Messer angesetzt hat.

3
    Der Plan des Apfelbaums
    Ein Mittwochnachmittag vor einem Jahr, in meiner Wohnung. Es ist Winter und kalt, die Heizung wärmt nicht richtig, draußen nieselt es nervtötend, und ich habe Hunger. Im Gefrierschrank finde ich einen bunten Eisklumpen, der nach einigem Kratzen eine Packung Tiefkühlgemüse freilegt. Ich werfe den buntgescheckten Gemüseklotz in die Pfanne, schütte ein paar Tropfen Balsamessig in die Pfanne, alles verpampt ein bisschen, was man halt so tut, wenn nichts im Haus ist und keine Kraft zum Einkaufen da. Das Resultat ist erstaunlich lecker. Aber beim dritten Bissen lasse ich die Gabel sinken. Auf einmal frage ich mich, was ich da eigentlich esse. Möhren, Erbsen, Blumenkohl. Irgendwo gewachsen, von irgendwem geerntet, auf der Packung steht »Bio«. Hat meine Mahlzeit damit die Gewissensprobe überstanden? Welche Prozesse waren nötig, damit diese Gemüsesorten gewachsen sind und diese Form angenommen haben? Welche komplexen Zusammenhänge haben diese Pflanzen vom Acker in die Pappschachtel und auf meinen Teller gebracht? Ich habe nicht die geringste Ahnung. Mein Wissensstand ist niedriger als der einer Rentnerin mit Schrebergarten, die vielleicht keine Ahnung von Bodenkunde hat, aber immerhin weiß, was sie für ihre Pflanzen tun muss, damit sie wachsen.
    Freunde von mir studieren Gartenbau und Landwirtschaft. Gemeinsam lebten wir jahrelang in einem Bauernhaus auf dem Land in der
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