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Fleisch essen, Tiere lieben

Titel: Fleisch essen, Tiere lieben
Autoren: Theresa Baeuerlein
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Nähe von München. Immer wieder fachsimpelten sie über Bodenlebewesen. Zum Stichwort Bodenlebewesen fielen mir auf Anhieb Maulwürfe und Regenwürmer ein. Meine gärtnernden Freunde reagierten mit Liebe und Begeisterung, wenn sich bei der Arbeit im WG-Garten auf der Gartenschaufel ein Regenwurm krümmte. Für irgendetwas waren diese dicken, rosa Schleifen gut, aber wofür? Und musste das jemand wie ich, der nicht vorhatte, jetzt oder in naher Zukunft zu gärtnern, überhaupt wissen? Ich bin niemand, der in dieser Beziehung von Natur aus sehr wissensdurstig ist. In meiner Familie gibt es zwar ein Gärtner-Gen, das bei mehreren Mitgliedern schon zu Glückszuständen beim Wühlen in der Erde und beim Radieschenrupfen geführt hat. Bei mir ist diese Liebe noch nicht ausgebrochen. Noch kaufe ich meine Lebensmittel lieber, als dass ich sie selber pflanze. Aber je mehr ich über die Konsequenzen einer fleischlichen Ernährung lernte, desto mehr begriff ich, dass man die Frage nach dem Sinn bzw. Unsinn des Fleischverzehrs nicht verstehen kann, ohne das Wesen der Pflanzen zu begreifen. Man kann diese Dinge nicht isoliert voneinander betrachten, weil sie unmittelbar und direkt miteinander verbunden sind.
    Auf gewisse Weise wissen wir über Fleisch fast mehr als über Pflanzen. Bei einer Wurst aus Schweinefleisch versteht jeder, dass die Quelle ein Tier ist, und was dieses Tier ungefähr zum Leben gebraucht hat. Wir denken an Gras und Korn, an ein Dach über dem Kopf, an Wasser und Auslauf (dass fast kein Tier in der Fleischindustrie all das bekommt, steht auf einem anderen Blatt). Bei einem Päckchen Mehl ist die Sache schon schwieriger. Weizen ist eine Pflanze. Pflanzen gehören zu den ersten Lebewesen, die diesen Planeten bevölkert haben. Lange, bevor der erste Dinosaurier übers Land getrampelt ist, gab es Pflanzen. Das Besondere an ihnen ist, dass sie sich scheinbar von nichts ernähren: Sie stellen Energie aus Sonnenlicht her. Pflanzen können das. Wir nicht. Genau deswegen haben Pflanzen dieses reine, unschuldige Image. Energie aus Sonnenlicht: Was könnte schöner sein, was weiter entfernt von der Metzgertheke?
    Nur Pflanzen, neben ein paar Bakterien und Algen, können Photosynthese betreiben. Alle nicht-pflanzlichen Lebewesen, inklusive Menschen, sind von dieser Fähigkeit der Pflanzen abhängig. Wenn ich eine Scheibe Roggenbrot esse, nehme ich die Energie auf, die eine Roggenpflanze aus Sonnenlicht synthetisiert hat. Das Gleiche gilt, wenn auf dem Stück Brot eine Scheibe Käse oder Wurst liegt: Die Milch für den Käse, das Fleisch für die Wurst stammen von einem Tier, das entweder selbst Pflanzenfresser war oder das andere Pflanzenfresser verspeist hat. Wenn wir Pflanzen essen, verzehren wir die Energie des Sonnenlichts, die diese Pflanzen durch Photosynthese umgewandelt haben. Wenn wir Tiere essen, die Pflanzen gegessen haben, tun wir über einen Umweg das Gleiche. Ob unsere Ernährung auf Schnitzel basiert oder auf Hirseflocken: Die Energie, die wir zum Leben brauchen, ist in ihrem Ursprung nichts anderes als Sonnenlicht.
    Man muss schon sehr verhärtet sein, um das nicht schön zu finden. Aber die Geschichte hat auch eine schmutzige Seite. Der Mais lebt nicht vom Licht allein. Damit die Pflanzen, die wir essen, wachsen können, müssen jede Menge Nährstoffe her. Diese stecken in der Erde.
    Erde ist weit mehr als der Lehm, auf den wir beim Spazierengehen treten. Diese Erkenntnis war einer der echten Aha-Momente während meines Lebensmittel-Lernfeldzugs. Im Biologie-Unterricht habe ich das, wie so viele andere wichtige Dinge, nicht gelernt. Ich könnte sofort antworten, würde man mich heute Nacht mit einem Eimer kalten Wassers und einer der Lieblingsfragen meines Biologielehrers – »Was ist der Unterschied zwischen Befruchtung und Bestäubung?« – aus dem Schlaf schrecken (Befruchtung ist die Verschmelzung zweier Keimzellen, Bestäubung das Übertragen der Pollen auf die Narbe). Entweder mein Biologielehrer hielt das Wissen um das Wesen der Böden nicht für relevant oder aber dieses Wissen ist in meiner Erinnerung angesichts der Biologiestunden mit echter Peinlichkeits- bzw. Angstqualität einfach verblasst (Sexualkunde, Krebszellen). Meine jahrelange Unwissenheit wäre mir unangenehm, wenn ich aus Gesprächen mit meinen Mitmenschen nicht erfahren hätte, dass eigentlich niemand so genau weiß, woraus Erde besteht. Selbst Karl Ludwig Schweisfurth, Begründer der ökologisch wirtschaftenden
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