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Fleisch essen, Tiere lieben

Titel: Fleisch essen, Tiere lieben
Autoren: Theresa Baeuerlein
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tieferliegendes Bedürfnis, sei vorerst dahingestellt. Klar ist nur: Es ist zu viel. Das System, das diese Fleischmassen herstellt, zerstört auf Dauer unsere Lebensgrundlage. Und auf Dauer heißt nicht erst in tausend Jahren, sondern in den nächsten Jahrzehnten.
    In der Hoffnung, mein störrisches System wieder auf totalen Fleischverzicht umpolen zu können, hatte ich begonnen, alles zu lesen, was ich über die Fleischproduktion in die Finger kriegen konnte. Und während ich Zahlen über Wasserverbrauch und Treibhausgase las, begann ich zu begreifen, dass diese Zahlen aus dem Zusammenhang gerissen waren. Ich merkte, dass Religion und Vegetarismus eine entscheidende Sache gemeinsam haben: Der Glaube an die Richtigkeit der Sache hat oft wenig mit Fakten zu tun, dafür viel mit Aberglauben und falscher Überlieferung. Lierre Keith, die selbst zwanzig Jahre lang auf jegliche Tierprodukte verzichtet hat, formulierte diese Erkenntnis in ihrem Buch »The Vegetarian Myth« wie folgt: »Der Unterschied zwischen mir und Vegetariern sind weder die Ethik noch das Engagement. Sondern Informationen.« ¹⁷
    Ich begriff: Vegetarismus war zwar, aufs Ganze gesehen, eine bessere Ernährungsweise als das unreflektierte Omnivorentum. Aber es war nicht zwingend der allerbeste Weg. Viele der Argumente für politisch, gesundheitlich und moralisch begründeten Vegetarismus, die ich in den Internetforen von Vegetarierorganisationen oder in veganen Kochbüchern las, basierten auf Unverständnis. Es herrscht ein Mangel an Wissen darüber, wie die Lebensmittel, die wir essen, produziert werden, welche Stoffe sie enthalten und wie sich das auf unsere Körper und den Planeten auswirkt.
    Niemand ist Vegetarier, weil er Gemüse hasst und so viel wie möglich davon vernichten möchte. Genauso ist es mit Fleischessern. Wer sein Steak aus Wut aufs Rind verdrückt, dürfte in Deutschland einer starken Minderheit angehören. Was die meis ten Fleischesser mit den Vegetariern verbindet (mehr, als ihnen recht sein dürfte), ist Bequemlichkeit. Die einen denken lieber nicht so genau darüber nach, wie schön oder schlimm das Leben des Geschöpfs gewesen ist, das auf ihrem Brotzeitteller liegt, die anderen meinen, mit der Wahl eines Tofuburgers sei der Weltrettung Genüge getan. Es ist nur deswegen leicht, das zu glauben, weil die Zusammenhänge unklar sind. Im Laden treffen wir nicht auf lebende Tiere, sondern sauber verschweißte Päckchen in den Kühlregalen, rosarotes Fleisch, bei dem alles, das an ein Lebewesen erinnert, bereits entfernt worden ist. Dem Fisch geht es nicht besser, gefroren liegt er in in der Eistruhe, sauber portioniert. Wie soll man die Verbindung zum Tier herstellen? Wer will diese Verbindung überhaupt? Als mehr oder minder hart arbeitende, dauerbeschäftigte Supermarkteinkäufer sind wir derart weit davon entfernt zu wissen, wo unsere Lebensmittel herkommen und was das mit unserer Gesundheit, der Umwelt und dem Leiden der Tierwelt zu tun hat, dass wir den Durchblick verloren haben. Wir haben wenig Ahnung, was Pflanzen und Tiere zum Leben brauchen. Und deswegen verstehen wir auch nicht, was wir selbst zu uns nehmen, wenn wir Pflanzen oder Tiere verzehren. »Nichts wissen, alles essen«, nannte es die Zeit .
    Tatsächlich liegt das Problem nicht unbedingt in der Tatsache begründet, dass wir Tiere essen. Sondern darin, dass die meisten dieser Tiere zum Verzehr aufbereitet werden, als handelte es sich um Ikea-Regale: massenhaft, lieblos und billig. Der Schaden, den dieses Industriefleisch anrichtet, ist so überwältigend, dass in der Debatte um Schwein oder nicht Schwein eine simple, aber enorm wichtige Tatsache stets vergessen wird: Fleisch ist nicht gleich Fleisch. Tofu ist nicht gleich Tofu. Und die entscheidende Frage lautet nicht: Tier oder Pflanze? Sondern: Was macht weniger kaputt? Die Antwort ist ein wenig komplexer als die Slogans, mit denen Organisationen wie PETA werben (Platz 1 in meiner persönlichen Favoritenliste der PETA-Slogans: »Eat Meat And Die«). Aber kompliziert ist die Antwort deswegen nicht. Fleisch essen und an das Wohl anderer denken ist kein Widerspruch. Im Gegenteil. Ein bewusster Fleischkonsument kann Umwelt, Gesundheit und Klima mindestens ebenso viel helfen, wie ein Vegetarier oder sogar Veganer.

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    Auch Pflanzen müssen essen
    Während der Recherchen zu diesem Buch ging ich auf eine Party bei Timm, einem Nachbarn, der im Sommer mittwochs eine große Leinwand in seinen Garten stellt und Filme zeigt,
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