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Fleisch essen, Tiere lieben

Titel: Fleisch essen, Tiere lieben
Autoren: Theresa Baeuerlein
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    Fleisches Frust
    Als Kind aß ich vor allem Wurst. Andere Lebensmittel interessierten mich einfach nicht. Hätten meine Eltern es nicht geschafft, mir hin und wieder die eine oder andere Möhre unterzujubeln, wäre ich jetzt wahrscheinlich tot. Eine schöne Zeit war es trotzdem, denn ich aß einfach das, was mir schmeckte. Ich hörte erst damit auf, als Paul McCartney mir kurz nach meinem zwölften Geburtstag meine kulinarische Unschuld raubte. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich im Wohnzimmer meiner Eltern saß und ein Konzertvideo anschaute. Als letzten Song sang Paul mit seiner brüchigen Altherrenstimme: »Michelle«. Nach dem Abspann färbte sich der Bildschirm dunkel. Ich hatte den Finger schon auf dem Ausschaltknopf, als die Küken kamen. Gelb und puschelig drängten sie sich auf einem Fließband. Eine drohende Stimme nannte Zahlen. Das Ganze hatte die Ästhetik einer Kriegsdokumentation. Etwas später erschienen Bilder von panierten Hühnerstücken. Den Rest habe ich verdrängt. Ich weiß nur noch: Ab diesem Tag war ich Vegetarierin. ¹
    Je älter ich wurde, desto mehr war ich überzeugt: Vegetarier waren die netteren, gesünderen und generell die besseren Menschen. Für uns Vegetarier wurde kein Tier gequält. Rinderwahn, Gammelfleischskandale, Vogelgrippe ließen mich kalt. »Selbst schuld, wer Fleisch isst …«, dachte ich und biss umso lustvoller in mein Käsebrot.
    Und ich befand mich in guter Gesellschaft. Der Imagewandel der Vegetarier ist am besten mit dem der Bio-Kunden vergleichbar: Ursprünglich gehörten sie einer vom Ernährungspleen besessenen seltsamen Randgruppe an, heute pflegt, wer fleischlos lebt, eine Alltagsdiät des bewusst lebenden, modernen Menschen. Je nachdem, welche Quelle man befragt, ernähren sich heute bis zu elf Prozent der Deutschen ganz oder größtenteils vegetarisch. Und das aus den allerbesten Gründen. Sie möchten zum Beispiel die »Grausamkeit an Tieren nicht unterstützen und gesünder leben«, so die Gewinner des letzten PETA-Wettbewerbs »Europas heißester Vegetarier« ² . Während es kaum Prominente gibt, die vor laufender Kamera Blutwurst verteidigen, reden Stars sehr gerne über ihre Entscheidung, sich vegeta risch oder sogar vegan zu ernähren. Vegetarier, scheint es, wach sen geistig in die Höhe, Fleischesser körperlich in die Breite. Fleischliebhaber sind fett und krank, Vegetarier gesund und sexy. Die Organisation PETA arbeitet an diesem Image kräftig mit, indem sie altbekannte Effekte nutzt, um für ihre Ziele zu werben. Für PETAs viel beachtete Anti-Pelz– und Pro-Vegetarismus-Kampagnen lassen Prominente Nacktfotos und -videos machen, die genauso gut in den Playboy passen würden. Mit dem Unterschied, dass einer Playboy-Fotostrecke irgendwie immer ein Hauch peinlicher Angeberei anhaftet, während eine PETA-Werbung das angenehme Parfum der Selbstlosigkeit verströmt. Hunderte bekannte Schauspieler bekennen sich zum Fleischverzicht, darunter Natalie Portman, Gwyneth Paltrow, Joaquin Phönix. Auch Gandhi, Albert Schweitzer und Martin Luther King waren Vegetarier. Okay, auch Hitler, aber der tat es angeblich aus Verdauungsgründen.
    Die Universität Jena hat herausgefunden ³ , dass die meisten Vegetarier jung sind, in Städten leben und eine höhere Bildung haben. Mehr Frauen als Männer verzichten auf Fleisch. Die meisten der Befragten sagten, dass sie kein Fleisch essen, weil sie es für moralisch richtig halten. Ich passte genau in dieses Profil.
    Vegetarismus war für mich mehr als nur eine Ernährungsweise. Er war ein Lebensstil. Einer, der sagte: Ich denke nicht nur an mich selbst. »If anyone wants to save the planet, all they have to do is just stop eating meat«, schrieb McCartney ins Netz. Die Welt retten war auf einmal so einfach. Ich musste überhaupt nichts tun, nur etwas lassen: Fleisch essen. Ein kleiner Preis für ein gutes Gefühl.
    Ich fing an, auf Eier zu verzichten, Käse, Honig. Es war großartig. Diese Art Hochgefühl kannte ich nur vom Sport: Du hast Kontrolle über deinen Körper. Du bist keiner, der alles in sich hineinstopft. Dann kam der Tag, an dem ein Arzt meine Eisenwerte testete und feststellte, dass ich eigentlich alle fünf Minuten in Ohnmacht fallen müsste. Dieser Arzt hielt nicht viel von Nahrungsergänzungsmitteln und riet mir ernsthaft, zumindest gelegentlich wieder Fleisch zu essen, um den Eisenmangel auszugleichen. Weil ich dem Arzt vertraute, kaufte ich im Bioladen neben der Praxis ein paar
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