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Schnabel, Andreas

Schnabel, Andreas

Titel: Schnabel, Andreas
Autoren: Tod inclusive
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EINS
    Freiherr Guntram von Michelsen zu Ahrenshoop erwachte aus einer Art bleierner Narkose. Er hatte einen widerlichen Geschmack im Mund, der von dem Wattebausch zu stammen schien, den man ihm auf Nase und Mund gedrückt hatte, bis ihm schwarz vor Augen wurde. Das Erste, was er wieder spürte, waren stechende Halsschmerzen. Er wollte sich aufrichten, aber es ging nicht. Lag er überhaupt? Nein, er saß auf einer Art Stuhl, und es kam ihm vor, als würde auf ihm eine unerbittliche Wolke lasten, die ihm sämtliche Bewegungsfreiheit nahm. Er spürte keinerlei Gurte, dennoch war er überall fixiert. Da er seinen Kopf keinen Millimeter bewegen konnte, sah er, so gut es ging, an sich hinunter. Im äußersten unteren Augenwinkel konnte er erkennen, dass sein Unterarm mit einer mit Fell ausgekleideten Manschette an die Stuhllehne gefesselt war. Seine Augen, seine Hände und die Füße konnte er bewegen, aber den Rest seines Körpers nicht. Selbst sein Kopf war fixiert, als hätte man ihn in einen Schraubstock eingespannt. Neben ihm erschien, langsam aus dichtem Nebel auftauchend, ein alter Mann mit langen weißen Haaren, die ihm offen über die Schultern fielen. Sein gütiges Gesicht lächelte ihn an.
    Freiherr Guntram wollte etwas sagen, aber statt einer Stimme entfuhr seiner wunden Kehle lediglich ein klägliches Zischen, und jeder Versuch, sich dem netten Alten mitzuteilen, wurde mit einem stechenden Schmerz, der ihm den Kehlkopf zu zerschneiden schien, bestraft. Dennoch überwand er sich. »Was … ist mit … mir? Sind … Sie … Gott?« Wieder hörte er sich selbst nur zischen. Es hörte sich an wie böse Schlangen, die in schlechten Abenteuerfilmen mit dem Helden sprachen, bevor sie von ihm getötet wurden.
    Der Alte legte den Zeigefinger auf seine Lippen. »Pst, junger Mann. Sagen Sie nichts, ersparen Sie sich unnötige Schmerzen.« Er hob lächelnd ein Skalpell in die Höhe. »Ich habe, als Sie schliefen, dafür gesorgt, dass sie mir meine kleine Freude nicht mit ihren Zwischenrufen kaputt machen können.«
    Freiherr Guntram war verwirrt. Wenn um ihn herum nur nicht dieser Nebel wäre. Er versuchte krampfhaft, seine Gedanken zu ordnen, aber auch sie waren wie gelähmt. Irgendwie entrückt sah er eine Gesichtsmaske auf sich zukommen, die ihm über Mund und Nase gestülpt und an seinem Kopf fixiert wurde. Dann spürte er, wie der lächelnde Alte einen Schlauch oben an der Maske anschloss. Freiherr Guntram fürchtete, nun wieder bestäubt zu werden, mit Gas vielleicht, und sog panisch seine Lungen voll Luft, aber es war nichts zu riechen, und sein Atem wurde wieder flacher.
    Der Alte setzte sich neben ihn und schlug ein Buch auf. »So, mein adeliger Freund, ich habe hier etwas Kultur für dich. Es wäre schlimm, wenn ein gestandener Mann, wie du einer bist, vor seinen Schöpfer träte, ohne ein wenig Kultur genossen zu haben.«
    Freiherr Guntram konnte in den Worten seines Peinigers keinen Sinn erkennen. Er bemerkte, dass offenbar kein Gas, sondern tropfenweise Wasser von oben in die Maske geleitet wurde. Er kostete das Nass. Es war Seewasser.
    »Der Zauberlehrling«, hob der Alte neben seinem Ohr an, »von Johann Wolfgang von Goethe.«
    Was ist denn jetzt los?, dachte Guntram, will der mir ein Gedicht vorlesen? Hat er mich dafür festgeschnallt?
    »Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister auch nach meinem Willen leben.«
    Immer mehr Wasser tropfte stetig in seine Maske, sodass seine Lippen von dieser salzigen Brühe umspült wurden und er nur noch durch die Nase atmen konnte.
    »Walle! Walle manche Strecke, dass, zum Zwecke, Wasser fließe und mit reichem, vollem Schwalle zu dem Bade sich ergieße.« Freudige Erregung ließ das Gesicht des Alten aufleuchten, und Freiherr Guntram spürte, wie er seinem Ohr immer näher kam. Jetzt küsste ihn dieser Wahnsinnige auch noch.
    Das Wasser in der Maske stieg unerbittlich weiter. Es stand ihm schon bis zur Nase. Panik kam in ihm auf, aber selbst die fühlte sich irgendwie bleiern an.
    »Und nun komm, du alter Besen! Nimm die schlechten Lumpenhüllen! Bist schon lange Knecht gewesen, nun erfülle meinen Willen!«
    Der Alte begann wirr zu lachen, als Guntram immer mehr Wasser durch die Nase inhalierte, und weidete sich an dem Anblick der aufgerissenen Augen des Sterbenden. Das Seewasser brannte fürchterlich in den Lungen.
    »Walle! Walle manche Strecke, dass, zum Zwecke, Wasser fließe und mit reichem, vollem Schwalle zu dem Bade
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