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Das verwunschene Haus

Das verwunschene Haus

Titel: Das verwunschene Haus
Autoren: Pierre Bellemare
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Die hinkende Frau
    Stanley Miller, Polizeibeamter in der englischen Stadt Coventry, sitzt am Steuer seines Wagens und verzieht das Gesicht zu einer ärgerlichen Grimasse.
    Man schreibt den 22. Dezember 1959, es ist bereits dunkel, und es schneit. Was seinen Unmut hervorruft, sind jedoch nicht die zu dieser Jahreszeit völlig normalen scheußlichen Wetterverhältnisse.
    Soeben hat man ihm mitgeteilt, daß auf dem Parkplatz eines großen Häuserblocks in der Birmingham Street — einem von Arbeitern bewohnten Außenbezirk — eine Frau ermordet worden sei. Das Opfer sei mit zwei Messerstichen getötet worden.
    In einer Stadt von der Größenordnung Coventrys könnte das ganz alltäglich erscheinen, doch eine Woche zuvor war bereits eine andere Frau nur wenige hundert Meter von dort entfernt erdolcht aufgefunden worden.
    Stanley Miller hat allen Grund zu der Befürchtung, daß sich ein sadistischer Mörder in seinem Gebiet herumtreibt und daß ihm ein höchst unerfreuliches Weihnachten bevorsteht. Eilig stellt Miller seinen Wagen neben einem Polizeifahrzeug ab, während sich mehrere Bobbies vor einer Gruppe von Schaulustigen aufstellen, die sich trotz des Schneefalls schweigend um den Ort des Geschehens geschart haben. Einer der Beamten kommt auf ihn zu: »Hier entlang, Inspektor. Wir haben das Opfer in den Wagen gelegt.«
    In der Nähe des Polizeiautos schluchzt ein etwa sechzigjähriger Mann leise vor sich hin. Der Inspektor hebt die Decke, die über die Leiche gebreitet worden ist. Die Art der Verletzungen bestätigt seine Befürchtungen. Es sind dieselben wie bei dem ersten Opfer: Ein Stich ging ins Herz und ein weiterer in den Unterleib.
    Eines überrascht ihn jedoch: Die Tote, die vor seinen Augen liegt, ist eine Frau zwischen fünfzig und sechzig, groß, mager und mit graumeliertem Haar, ganz das Gegenteil des ersten Opfers, bei dem es sich um eine kleine, eher füllige Blondine von einundzwanzig Jahren gehandelt hatte.
    Das ist insofern erstaunlich, als diese Art von sadistischen Irren normalerweise stets denselben Typ Frau überfällt, entweder blonde oder dunkelhaarige, junge oder alte.
    Offenbar ist der Vorstadtmörder von Coventry nicht wie die anderen, es sei denn, es gäbe zwischen diesen, in ihrer äußeren Erscheinung so unterschiedlichen beiden Frauen ein gemeinsames Merkmal, das ihm bis jetzt entgangen ist. Inspektor Miller steigt aus dem Polizeiauto wieder aus und tritt auf den in Tränen aufgelösten Mann zu.
    »Entschuldigen Sie bitte, sind Sie der Ehemann?«
    »Ja.«
    »Wissen Sie. wie es sich abgespielt hat?«
    »Nein. Man hat mich in der Fabrik benachrichtigt. Sie ist überfallen worden, als sie von der Arbeit nach Hause kam.« Vielleicht der Beruf... Das könnte das gemeinsame Merkmal sein. Das erste Opfer war Friseuse gewesen.
    »Welcher Art war die Beschäftigung Ihrer Frau?«
    »Sie war Krankenschwester.«
    Man muß also nach etwas anderem suchen...
    Nachdem Stanley Miller mit dem armen Mann noch ein paar Worte gewechselt hat, verläßt er den Schauplatz des Verbrechens. Zurück in seinem Büro nimmt er die Akte des vorangegangenen Verbrechens zur Hand und betrachtet erneut das Photo des ersten Opfers: das volle, lächelnde Gesicht, den rundlichen Körper, das irgendwie Kindliche der gesamten Erscheinung. Das alles hat mit der freudlos und streng wirkenden Frau vom Parkplatz nichts gemeinsam.
    Aufmerksam liest Inspektor Miller noch einmal den Autopsiebericht durch, und unvermittelt fällt ihm ein Detail auf.
    Der Gerichtsmediziner hat beim ersten Opfer ein ausgeprägtes Hüftgelenkleiden festgestellt. Der Polizeibeamte greift zum Telefonhörer und ruft den Ehemann der Krankenschwester an.
    »Verzeihen Sie, daß ich Sie erneut belästige, aber ich muß unbedingt etwas wissen: Hat Ihre Frau gehinkt?«
    Es folgt ein Moment des Schweigens, bis der Ehemann mit bewegter Stimme erwidert: »Ja. Sehr stark sogar. Die Arme war von Geburt an behindert.«
    Erneutes Schweigen und dann wieder die Stimme des Ehemanns: »Inspektor, glauben Sie... daß man sie deshalb umgebracht hat?«
    »Ja, das glaube ich.«
    Routinehalber befragt Stanley Miller die Eltern der ermordeten jungen Blondine. Die Antwort ist wie erwartet: Als Folge einer Hüftgelenktuberkulose, die sie sich in früher Kindheit zugezogen hatte, hinkte ihre Tochter stark.
    Die Situation ist ernst. Der Inspektor ruft die Journalisten zu sich, um sie zu informieren und um ihre Mithilfe zu bitten. Schon am Abend des 23. Dezember veröffentlichen die
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