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Das verwunschene Haus

Das verwunschene Haus

Titel: Das verwunschene Haus
Autoren: Pierre Bellemare
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frösteln. Lili lächelt den Jungen an und preßt ihn noch stärker gegen ihren Körper.
    »Simon, du hast doch keine Angst, oder? Ich bin hier, um dich zu beschützen. Jetzt erzähl mir mal alles von Anfang an. Deine Mutter ist also gestorben...«
    »Ja. Ich hatte geschlafen. Dann kam Papa und hat mich geweckt. Er hat zu mir gesagt: >Mama ist tot. Geh zu ihr.< Ich bin in ihr Zimmer gegangen. Sie lag auf dem Bett und hatte ihr schönstes Kleid an. Sie hatte Blumen in den Händen, und in ihrem Haar waren auch Blumen. Dann hat Papa gesagt, wir sollen uns anziehen. Zu mir hat er gesagt, daß ich meinen Sonntagsanzug tragen soll.«
    »Was heißt >wir    »Ja, eine Schwester und zwei Brüder.«
    »Sind sie jünger als du?«
    »Meine Schwester ist acht. Meine kleinen Brüder sind fünf und drei Jahre alt.«
    »Du hast dich also angezogen...«
    »Ja. Ich bin in mein Zimmer gegangen, und da habe ich lange Zeit gewartet, bis Papa kam. Er hatte auch seinen besten Anzug an. Er hat meine Geschwister bei der Hand genommen und gesagt: »Wir steigen jetzt alle ins Auto ein.«
    »Um jemanden zu besuchen?«
    »Nein.«
    »Wohin wolltet ihr dann?«
    »Als wir im Auto saßen, habe ich Papa gefragt, und er hat geantwortet: >Wir fahren zum Meer.<«
    »Hat er dir nicht gesagt, weshalb?«
    »Nein.«
    »Und dann seid ihr nach Dünkirchen gefahren?«
    »Ich weiß nicht...«
    »Du weißt nicht, daß du hier in Dünkirchen bist? Hast du die Stadt denn nicht erkannt?«
    »Nein.«
    »Bist du noch nie hier gewesen?«
    »Doch. Zur Kirmes, aber ich habe es nicht wiedererkannt.«
    »Was meinst du, warum dein Vater nach Dünkirchen gefahren ist? Wollte er hier jemanden treffen?«
    »Nein. Wir kennen hier niemanden. Ich glaube, er wollte uns alle im Meer ertränken...«
    »Hat er dir das gesagt?«
    »Nein. Aber ich glaube es.«
    »Und wie hast du dann entfliehen können?«
    »Das Auto fuhr auf einmal nicht mehr weiter. Papa ist ausgestiegen, um nach den Reifen zu sehen, und da bin ich geflohen. Er hat es nicht gemerkt. Meine Schwester und meine kleinen Brüder haben geschlafen. Als ich vom Auto weit genug weg war, fing ich an zu rennen.«
    Lili steht plötzlich auf. Im Angesicht einer solchen Gefahr heißt es vor allem, ruhig Blut zu bewahren. Wenn der Vater seine tote Frau zu Hause zurückgelassen hat und mit den Kindern im Auto zu einem Ort gefahren ist, wo er niemanden kennt, dann muß er den Verstand verloren haben. Bestimmt hat er die Absicht, eine nicht wiedergutzumachende Tat zu begehen, eine andere Erklärung kann es nicht geben. Sie beugt sich zu Simon herab: »In welcher Entfernung steht das Auto ungefähr?«
    »Ich weiß nicht...«
    »Bist du weit gelaufen?«
    »Nicht sehr weit.«
    Das Kind deutet in die Richtung, aus der es gekommen ist: »Von da...«
    »Komm mit«, sagt Lili und setzt sich mit dem Kind am Arm so schnell sie kann in Bewegung. Dann ruft sie: »Josiane! Komm schnell her!«
    Sie stößt einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie von weitem die Stimme ihrer Freundin hört.
    »Bist du es, Lili? Ist etwas passiert?«
    »Ja. Komm schnell, es geht um eine schlimme Sache!«
    Kurz darauf steht Josiane vor ihnen. Lili informiert sie kurz über die Situation und sieht, wie die andere ganz bleich wird.
    »Wir müssen die Polizei verständigen!« ruft Josiane.
    »Ja, und zwar mußt du zur Polizei gehen. Aber das genügt nicht. Es dauert schließlich nicht ewig, einen Reifen zu wechseln. Die Polizei wird zu spät kommen. Ich vermute, daß der Vater zur Mole fahren will.«
    »Was sollen wir also tun?«
    »Ich vertraue dir Simon an. Unterdessen werde ich den Vater suchen gehen.«
    »Hast du schon eine Idee, wie du ihn an seinem Vorhaben hindern willst?«
    »Nein, bis jetzt nicht...«
    Mit einer raschen Bewegung entledigt sich Lili ihrer Stöckelschuhe und läuft dann mit nackten Füßen den dunklen Hafendamm entlang.
    Lange Zeit kommt sie nur an verlassen daliegenden Straßen vorbei, doch plötzlich vollführt ihr Herz einen Satz: Dort unten, im Schein einer Straßenlaterne, steht ein geparktes Auto. Ein Mann kniet neben einem der Hinterreifen. Es gibt keinen Zweifel, das muß der Vater von Simon sein!
    Sie zwingt sich zu einem langsamen Schritt, um wieder Atem zu schöpfen, und geht so natürlich wie möglich auf den Mann zu. Noch hat sie nicht die geringste Ahnung, wie sie sich verhalten soll. Sie weiß nur, daß sie unbedingt diese drei unglückseligen Kinder vor einem schrecklichen Tod bewahren muß.
    Mit
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