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Das verwunschene Haus

Das verwunschene Haus

Titel: Das verwunschene Haus
Autoren: Pierre Bellemare
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Zeitungen von Coventry eine Warnung auf der Titelseite:
    »Ein sadistischer Mörder hat es ausschließlich auf Frauen abgesehen, die hinken. Allen unter dieser Behinderung leidenden Personen wird daher dringend geraten, wenn irgend möglich, das Haus nicht zu verlassen und etwaige Besorgungen beispielsweise durch eine Nachbarin ausführen zu lassen. Wer dennoch aus beruflichen oder anderen Gründen dazu gezwungen ist, sollte auf keinen Fall allein ausgehen. Wir raten ihren Arbeitskollegen in der Fabrik oder im Büro, ihnen Begleitschutz zu geben. Sofern nötig, können die Betroffenen Kontakt mit der Polizei aufnehmen, die ihnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Beamten schicken wird.«
    In den Nachrichtensendungen verbreiten die Radiostationen denselben Warnaufruf, und bald sind sämtliche Bewohner Coventrys über diese unangenehme Angelegenheit im Bilde, die so gar nicht in die Weihnachtsvorbereitungen paßt.
    Bei Inspektor Miller laufen alle Fäden auf der Polizeiebene von Coventry zusammen. Er erhält sogar die Erlaubnis, die Bobbies mit Waffen ausstatten zu lassen, was gewöhnlich nicht der Fall ist. Und er schickt Patrouillen los, die vor allem nachts die Wohnviertel kontrollieren.
    Darüber hinaus fordert er eigens aus London Angehörige einer Spezialtruppe an. Es handelt sich dabei um sechs junge Frauen, die in einer Sonderausbildung auf der Polizeischule in allen nur erdenklichen Kampftechniken trainiert worden sind. Selbst die Zierlichste unter ihnen vermag mit einem einzigen Judogriff einen Koloß von einem Mann niederzustrecken, und mit einem Karateschlag könnte sie jemanden töten. Doch Inspektor Miller verlangt etwas anderes von ihnen.
    »Prägen Sie sich zunächst die Wegstrecke ein. die jede von Ihnen zurücklegen wird, meine Damen. Alle Viertelstunde melden Sie sich dann über Funk. Und jetzt bitte ich Sie zu üben, wie man hinkt.«
    Minutenlang sieht der Inspektor den jungen Frauen zu, die mit künstlich gekrümmter Hüfte in seinem Büro ihre Runden drehen. Er begreift plötzlich, was im kranken Hirn des Mörders vorgegangen sein mag: Eine hinkende Frau hat etwas seltsam Schockierendes an sich. Ein sadistischer Verrückter könnte durchaus ein provozierendes oder sogar unzüchtiges Verhalten darin sehen.
    Miller bricht die Vorführung ab, die ihm ganz gegen seinen Willen Unbehagen bereitet hat.
    »Ich danke Ihnen, meine Damen. Ich möchte Sie noch darauf aufmerksam machen, daß die größte Schwierigkeit darin besteht, das Hinken über einen längeren Zeitraum durchzuhalten. Es wird nämlich schnell schmerzhaft und mühsam, und vor allem neigt man immer wieder dazu, es zu vergessen und in seinen normalen Gang zurückzufallen. Ich rate Ihnen daher, daß Sie sich im Geiste ständig wiederholen: Ich hinke, ich hinke... Also viel Glück, und seien Sie tapfer!«
    24. Dezember 1959, fünf Uhr nachmittags. Judith Appleby läuft mit raschem Schritt durch die hellerleuchteten Straßen. Sie ist eine hübsche kleine Frau von fünfunddreißig Jahren, blond, mit blauen Augen und rosigen Wangen.
    Judith Appleby ist fröhlicher Stimmung. Die zwischen den Häusern gespannten Lichterketten verleihen dem sonst so grau wirkenden Coventry ein festliches Aussehen, die Türen und Fenster der Häuser sind mit Tannenzweigen geschmückt, Gruppen von Kindern singen Weihnachtslieder und erbitten dafür eine kleine Gabe.
    An diesem Tag vor dem Weihnachtsfest hat die Bank, in der sie arbeitet, den Angestellten eine Stunde früher freigegeben, damit jeder noch seine Besorgungen machen kann. Und genau damit ist Judith Appleby momentan beschäftigt. Nachdem sie für ihre Kinder Nicolas und Marjorie ein paar Spielsachen gekauft hat, geht sie zum Metzger, um den vorbestellten Truthahn abzuholen. Das einzige, was ihre Freude ein wenig trübt, ist diese schreckliche Sache, die sie morgens im Radio gehört hat. Diese unglückseligen Frauen! Wie kann jemand nur zu so etwas fähig sein? Und ausgerechnet an einem Weihnachtsabend!
    Mit dem Truthahn unter dem Arm tritt Judith Appleby wieder auf die Straße. Sie ist inzwischen schwer beladen, und es hat angefangen zu schneien. Sie befindet sich ganz in der Nähe ihres Zuhauses, nur leider sind alle Busse überfüllt. So beschließt sie, eine Abkürzung zu nehmen, über einen kleinen Weg, dessen letztes Stück durch eine unbebaute Gegend führt. Judith hat das schon öfter gemacht, wenn sie es eilig hatte, ihr Mann und die Nachbarn sagen zwar immer wieder, das sei unvorsichtig von ihr,
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