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Das verwunschene Haus

Das verwunschene Haus

Titel: Das verwunschene Haus
Autoren: Pierre Bellemare
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einem Schlag hat sie alle Enttäuschungen und Demütigungen vergessen, die das Leben ihr zugefügt hat. Was immer auch jetzt geschieht: Falls es ihr gelingt, Simons Vater von seinem Plan abzubringen, wird ihr bescheidenes Erdendasein einen Sinn gehabt haben...
    Der Mann dreht den Schraubenschlüssel ein letztes Mal herum und erhebt sich dann. Er nimmt den kaputten Reifen und legt ihn in den Kofferraum. Es ist höchste Zeit, jetzt muß gehandelt werden!
    Lili nähert sich lächelnd, doch als der Mann eine Prostituierte vor sich sieht, zuckt er ärgerlich zurück.
    »Was soll das?« ruft er. »Lassen Sie mich in Frieden!«
    Lilis Lächeln verstärkt sich. Es geht jetzt vor allem darum, Zeit zu gewinnen.
    »Wollen wir nicht eine kleine Spazierfahrt zusammen machen?« fragt sie.
    Simons Vater stößt sie zurück und will in den Wagen einsteigen, doch Lili kommt ihm zuvor. Sie setzt in diesem Moment alles auf eine Karte.
    »Sie haben kein Recht dazu!«
    »Wie bitte?«
    »Sie haben nicht das Recht, Ihre Kinder zu töten. Die Kleinen haben doch nichts Böses getan!«
    Fassungslos starrt der Mann sie an. Er ist groß und hager, hat sehr kurz geschnittenes Haar und ein eckiges Gesicht. Obwohl Simon vom Beruf seines Vaters nichts erzählt hatte, könnte Lili darauf wetten, daß er beim Militär ist.
    Seine grauen Augen nehmen plötzlich einen unbarmherzigen Ausdruck an, doch Lili empfindet keine Angst.
    »Woher wissen Sie das?«
    »Simon hat es mir gesagt. Er ist in Sicherheit.«
    Der Mann dreht sich zum Wagen um und stößt einen wütenden Schrei aus, als er das Verschwinden seines Ältesten entdeckt.
    Mit drohend erhobenen Händen will er sich der jungen Frau bemächtigen: »Sie... ich werde Sie...«
    »Sie werden mir antworten! Sie haben kein Recht, mir eine Erklärung zu verweigern! Damit machen Sie es sich zu einfach!«
    Durch Lilis Ruhe entwaffnet, erstarrt er mitten in der Bewegung. Als er sie wieder ansieht, wirken seine Augen verschwommen. »Ich will nicht, daß den Kindern dasselbe geschieht wie mir.«
    »Was ist Ihnen denn geschehen?«
    »Ich habe meine Mutter im Alter von sieben Jahren verloren, und das habe ich niemals verwunden. Ein Vater kann seine Kinder nicht allein aufziehen. Der meinige konnte es schon nicht, und ich wäre dazu ebensowenig imstande. Nein, glauben Sie mir, ich muß ihnen das ersparen. Es wird für sie eine Erlösung sein.«
    Da der Mann offenbar findet, die Unterhaltung sei beendet, nachdem er eine befriedigende Erklärung gegeben hat, setzt er sich ans Steuer. Lili ist sich darüber klar, daß sie jetzt noch irgend etwas sagen muß, ganz gleich, was es ist.
    »Und was ist mit Gott? Haben Sie auch an Gott gedacht?«
    »Nein, ich muß gestehen, daß ich das nicht getan habe. Aber ich bin sicher, daß Er mein Verhalten billigt.«
    »Dessen bin ich keineswegs sicher. Welche Vorstellung haben Sie denn von Gott, um so etwas denken zu können?«
    »Weiche Vorstellung ich von Gott habe?«
    »Ja...«
    Und so kommt es, daß Lili, die Prostituierte aus Dünkirchen, um halb vier Uhr morgens in einer einsamen Hafenstraße über Gott spricht. Sie sagt alles, was ihr gerade einfällt und wird dabei nur von einem einzigen Gedanken beherrscht: Die drei kleinen Wesen zu retten, die im Fond des Wagens schlummern und trotz ihrer Unterhaltung nicht einmal wach geworden sind.
    Das Polizeiauto nähert sich ohne Sirene. Als der Mann es bemerkt. ist es zu spät. Mit einer raschen Kehrtwendung hat ihm das Fahrzeug den Weg blockiert. Die Straße zur Mole, wo er den Tod suchen wollte, ist ihm versperrt.
    Simons Vater, der heftig wütet und gestikuliert und der sich jetzt offensichtlich in einem Zustand vollkommener Verwirrtheit befindet, wird weggeführt. Josiane und Simon steigen aus dem Polizeiauto. Simon nähert sich Lili und sieht sie verzweifelt an.
    »Du wirst uns doch nicht ganz allein lassen, oder?« fragt er angstvoll.
    Lili betrachtet ihn, als wäre er das Kind, das sie niemals wird haben können.
    »Ich muß jetzt gehen. Aber ich werde wiederkommen.«
    »Wann?«
    »Bald, Simon, sehr bald.«
    Und Lili verschwindet im Laufschritt mit ihren nackten Füßen in einer dunklen Seitenstraße des Hafens von Dünkirchen.
     

Ein öffentlicher Mord
    An diesem 14. März 1964 erscheint der Polizeibeamte William Dray wie jeden Morgen um acht Uhr in seinem Büro. Seit mehr als einem Jahr tut er Dienst in einem Kommissariat in Queens, einem Vorort von New York.
    In New York Polizist zu sein ist nicht gerade ein leichter
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