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Das verwunschene Haus

Das verwunschene Haus

Titel: Das verwunschene Haus
Autoren: Pierre Bellemare
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Wohnung, die sich im ersten Stock befindet, mit Blick zur Straße. Fast hätte er die Bewohner über den Haufen gerannt, so heftig ist er hineingestürzt.
    Eis handelt sich um ein älteres Rentnerehepaar, das er offenbar gerade beim Fernsehen gestört hat. William Dray zieht die Vorhänge auf und öffnet das Fenster zur Straße.
    »Sagen Sie mir bloß nicht, Sie haben nichts gesehen und nichts gehört! Bei Ihnen brannte ebenso Licht wie bei den anderen hier. Der Mord hat sich vor Ihren Augen abgespielt, in nur zwanzig Metern Entfernung! Schauen Sie genau hin, da vorne sieht man sogar noch eine Blutspur!«
    Die beiden alten Leute stehen eng aneinandergepreßt im hinteren Teil des Raumes. Sie sind anscheinend zu Tode erschrocken. Schließlich beginnt der Mann zu sprechen: »Sie dürfen uns das nicht übelnehmen. Dies hier ist ein anständiges Viertel, und wir wollen keine Scherereien. Und so ein Ehestreit...«
    Der Inspektor schreit auf wie ein Verrückter: »Ehestreit? Haben Sie etwa nicht gesehen, daß der Mann mit einem Messer auf die Frau losgegangen ist'? Wagen Sie nur zu behaupten, Sie hätten das Messer nicht gesehen, und ich lasse Sie auf der Stelle wegen falscher Zeugenaussage verhaften!«
    Der Mann zittert am ganzen Körper. Er schluckt mühsam. Dann sagt er: »Ja... wir haben das Messer gesehen.«
    »Wie oft hat der Mann zugestochen?«
    »Ich weiß nicht... fünf- oder sechsmal.«
    »Und die Frau, haben Sie die nicht gehört? Hat sie die ganze Zeit nicht geschrieen?«
    »Doch, sie hat geschrieen: >Zu Hilfe, er bringt mich um!< Aber wir sind ehrbare Bürger, Inspektor... Wir bezahlen immer pünktlich unsere Steuern. Und ich war im Krieg...« William Dray stürmt hinaus und knallt die Tür hinter sich zu. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er Lust, alles hinzuwerfen, den Polizeidienst zu quittieren und ganz weit weg zu gehen, um irgend etwas anderes zu machen.
    Aber er muß den Weg bis zum Ende gehen, bis er das Ende dieser elenden Austin Street erreicht hat, bis er zu den letzten Niederungen der menschlichen Natur in all ihrer Feigheit vorgedrungen ist...
    William Dray steuert jetzt auf die Nummer 1023 zu, dort, wo Kitty Holden gewohnt hat. dort, wo ihr Martyrium seinen Höhepunkt fand. Er wird den letzten Zeugen befragen, die Person, die schließlich die Polizei gerufen hatte: die Concierge des Gebäudes.
    Inspektor Dray betritt die Pförtnerloge und nimmt unaufgefordert auf dem Sofa Platz. Er ist müde, er ist am Ende. Vor sich sieht er eine alterslos wirkende Frau. In aufrechter Haltung erwartet sie seine Fragen.
    »Sie haben also die Polizei alarmiert? Gut, erzählen Sie!«
    »Ich sah, wie sich Miss Holden in die Halle schleppte. Es war schrecklich. Sie verlor viel Blut.«
    »Und was haben Sie getan?«
    »Fast gleich darauf ist der Mann erschienen. Er hat sich auf sie gestürzt und...«
    »Fast gleich darauf... Wieviel Zeit verging bis zu seinem Auftauchen?«
    »Ich weiß es nicht genau. Vielleicht ein oder zwei Minuten.«
    »Und währenddessen haben Sie nicht die Polizei angerufen? Wieso haben Sie nicht versucht, der Frau zu helfen?«
    »Ich hörte, wie ein Wagen in der Straße wendete und bekam Angst. Ich wußte ja, daß der Mann bewaffnet war.«
    In der Stimme von Inspektor Dray liegt jetzt keine Empörung mehr. Er ist bereits jenseits davon.
    »Sie haben demnach gewartet, bis der Mörder sein Werk vollendet hatte und geflohen war, bevor Sie die Polizei gerufen haben. Stimmt das?«
    »Sie müssen das verstehen: Ich hatte Angst, daß er mich ebenfalls umbringt. Der Mann hätte mich genauso getötet wie diese junge Frau. Nachdem ich telefoniert hatte, ging ich zu der Kleinen und nahm sie in die Arme. Ich sagte zu ihr, daß man nachts nicht allein ausgehen darf, daß sie das nicht hätte tun sollen. Ich glaube, sie hörte mir nicht zu. Jedenfalls antwortete sie nichts...«
    William Dray verbirgt in seinem Bericht nicht das geringste Detail und ruft anschließend sogar die Journalisten der Stadt zu sich. Er erzählt ihnen, daß eine junge Frau in aller Öffentlichkeit ermordet worden ist und daß es Dutzende von Zeugen gab, die nichts unternommen haben, um sie zu retten.
    Am anderen Tag berichtet die gesamte amerikanische Presse in Schlagzeilen über »Die Schande der Austin Street«. Man prangert die Mentalität der Großstadtbewohner an, besonders der Bürger von New York, die Angst und den Egoismus von Leuten, die sich hinter ihren Mauern verstecken und Augen und Ohren verschließen, wenn sich vor ihrer
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