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Das verwunschene Haus

Das verwunschene Haus

Titel: Das verwunschene Haus
Autoren: Pierre Bellemare
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Serviette um den Hals geknotet.
    »Polizei. Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.« Mißtrauisch beäugt der Mann den Ausweis, den William Dray ihm vor die Nase hält.
    »Nun gut, kommen Sic herein. Aber wissen Sie, von diesem Mord heute nacht haben wir nicht viel mitbekommen, meine Mutter und ich.«
    »Dann sind Sie also im Bilde?«
    »Na ja, so wie jeder hier, denke ich.«
    »Was heißt das, wie jeder hier?«
    Eine Frau, die gegen Mitte Fünfzig sein könnte, erscheint im Flur. Sie trägt riesige Lockenwickler auf dem Kopf.
    »Laß mich antworten, Michael! Das ist Michael, mein Sohn. Seit meiner Scheidung lebe ich hier allein mit ihm. Also, es war drei Uhr morgens, als Michael mich geweckt hat. Er hat gesagt: >Mutter, da draußen sind irgendwelche Leute, die sich anscheinend prügeln!<«
    William Dray strafft unwillkürlich seine Gestalt.
    »Sind Sie sicher, daß es drei Uhr war? Aber man hat die Polizei doch erst um drei Uhr fünfunddreißig angerufen!«
    »Es gibt keinen Zweifel, Inspektor, denn ich habe auf die Wanduhr geblickt. Die Sache hat sich auf dem Parkplatz da drüben abgespielt. Ein weißes Auto mit geöffnetem Schlag und aufgedrehten Scheinwerfern stand neben einem grünen Volkswagen, und ein Mann und eine Frau haben miteinander gekämpft. Der Mann war ein Schwarzer, dessen bin ich mir sicher.«
    »Haben Sie denn keine Schreie gehört?«
    »Doch, doch, die Frau hat ständig geschrieen: >Zu Hilfe, um Gottes willen, zu Hilfe, er will mich umbringen!<«
    »Mama, sie hat gesagt: >Er will mich erstechen!<«
    »Ja, du hast recht, mein Liebes, sie hat geschrieen, daß er sie erstechen will. Daraufhin habe ich zu Michael gesagt: >Misch dich da lieber nicht ein.< Nicht wahr, man gerät heutzutage so schnell in Schwierigkeiten! Ich habe zu ihm gesagt, er soll das Licht ausmachen. Sonst hätte der Mann uns womöglich gesehen, und man weiß ja nie!«
    Der Inspektor betrachtet die Frau, die vor ihm steht. Sie spricht in seelenruhigem Tonfall, während sie kritisch seinen Dienstausweis studiert. Dray muß sich zwingen, die Beherrschung zu wahren.
    »Ihr Sohn hat vorhin gesagt, jeder hier wisse über das Verbrechen Bescheid...«
    »Natürlich. Die Leute sind von den Schreien wach geworden. Überall gingen die Lichter an. Ein Mann im Haus nebenan hat sogar sein Fenster aufgerissen und gerufen: >Lassen Sie die Frau los!< Daraufhin ist der Neger geflüchtet.«
    »Und dann'?«
    »Der Mann hat sein Fenster wieder zugemacht. Als der Neger sah, daß der Mann hinter dem Fenster verschwunden war, kam er zurück und fiel erneut über das Mädchen her. Aber das war weiter oben in der Straße, man konnte es nicht mehr so gut sehen.«
    Mit eisiger Stimme fragt der Inspektor: »Haben Sie Telefon, Madam?«
    Die Frau starrt ihn unter ihren Lockenwicklern an.
    »Ja, warum?«
    Diesmal kann sich Dray nicht länger zurückhalten. »Um die Polizei anzurufen!« explodiert er.
    »Nun, wir haben geglaubt, die anderen hätten das schon getan, nicht wahr, Michael? Ich hoffe, wir bekommen keine Unannehmlichkeiten, Inspektor! Inspektor...«
    Aber Dray ist schon im Treppenhaus. Er verspürt ein unwiderstehliches Bedürfnis, weit weg zu fliehen. Dennoch muß er seine Untersuchung fortsetzen.
    Im nächsten Haus trifft er den Mann an, der das Fenster geöffnet hatte. Er bestätigt die Fakten.
    »Als ich sah, was da draußen passierte, habe ich ihm zugerufen, er soll das Mädchen in Ruhe lassen. Daraufhin ist er verschwunden. Er hat es nicht weiter versucht.«
    »Doch, das hat er! Er ist ein paar Minuten später zurückgekommen. Haben Sie das denn nicht gehört?«
    »Na ja, ich meine... ich war wieder schlafen gegangen. Sie müssen das verstehen, mein Job beginnt morgens um halb sieben...«
    Und Inspektor Dray verfolgt weiter den Leidensweg, den die unglückliche Kitty Holden nur wenige Stunden zuvor zurückgelegt hat. Jedesmal, wenn er an einer Wohnungstür klingelt, sieht er dasselbe verlegene Lächeln auf den Gesichtern der Leute, hört er dieselben ausweichenden Antworten. Er fühlt, wie Ekel und Verachtung in ihm hochsteigen. Sie alle waren Zeugen des Verbrechens! Der Mord hat sich gewissermaßen in der Öffentlichkeit abgespielt, und nicht einer von ihnen hat zum Telefonhörer gegriffen, um die Polizei zu rufen!
    Als er vor dem Gebäude gegenüber dem Spirituosengeschäft angelangt ist, dort, wo der Mann sein Opfer ein zweites Mal überfallen hat, ist es mit seiner Selbstbeherrschung längst vorbei. Er hämmert laut an die Tür der
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