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Das verwunschene Haus

Das verwunschene Haus

Titel: Das verwunschene Haus
Autoren: Pierre Bellemare
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vor allem bei Dunkelheit, aber sie ist keine ängstliche Natur, und sie hat stets einen geradezu unerschütterlichen Optimismus bewiesen.
    Judith Appleby bewegt sich mit all den Paketen auf dem Arm nur mühsam vorwärts. Der Pfad steigt steil an. Die letzte Straßenlaterne liegt bereits fünfzig Meter hinter ihr, und es schneit noch immer.
    Schließlich erreicht die junge Frau das unbebaute Stück Land. Zum Glück kennt sie den Weg, denn die Gegend ist nur durch das indirekte Licht von den unterhalb gelegenen Straßen beleuchtet.
    Judith kann ein Schaudern nicht unterdrücken, das nicht allein durch die Kälte hervorgerufen wird. Bei allem Vertrauen in sich selbst und in das Leben muß sie sich doch eingestehen, daß der Ort außerordentlich finster ist, vor allem, wenn sie an diesen Mörder denkt, der draußen herumstreicht.
    Judith Appleby zuckt unwillkürlich die Schultern. Wenn es einen Menschen gibt, den sie nicht fürchten muß, dann ihn! Die Polizei hat gesagt, daß er sich nur an hinkenden Frauen vergreift, und sie hinkt nicht.
    Allerdings gibt es in einer großen Stadt wie Coventry noch eine ganze Menge anderer Gestalten, denen man als Frau bei Dunkelheit in einer gottverlassenen Gegend wie dieser nur sehr ungern begegnen würde!
    Sie beschleunigt ihren Schritt und stößt gleich darauf einen Schrei aus, während sie der Länge nach zu Boden stürzt und dabei die Geschenke und den Truthahn fallenläßt. Sie ist an einen dicken Stein gestoßen und hat dadurch das Gleichgewicht verloren.
    »Ich wette, der Truthahn ist ganz schmutzig geworden«, schimpft sie vor sich hin, »und die Spielsachen für die Kinder auch!«
    Sie steht auf, bückt sich, um den Truthahn aufzuheben und stößt erneut einen Schmerzensschrei aus. Ihr rechter Fuß tut grausam weh. Bestimmt hat sie sich den Knöchel verstaucht! Sie versucht, ein paar Schritte zu gehen, aber der Schmerz ist unerträglich. Und jetzt überfällt sie ein nicht endenwollendes Schwindelgefühl. Es ist dermaßen idiotisch, dermaßen unvorstellbar und dermaßen schrecklich, aber sie hinkt! Instinktiv hört Judith Appleby auf zu gehen, oder vielmehr, sie hört auf zu hinken. Soeben hat sie den langsamen, schweren Schritt eines Mannes vernommen, der allmählich auf sie zukommt. Der Alptraum beginnt...
    Reglos, wie eine im Schnee versunkene Statue, bleibt sie stehen. Noch vor einem Augenblick hatte sie keinerlei Grund, den Mörder zu fürchten, und jetzt hat sich alles auf eine ebenso brutale wie lächerliche Art und Weise ins genaue Gegenteil verkehrt!
    Sie wagt nicht, den Kopf zu wenden. Der Mann ist inzwischen ganz nah. Sie hört bereits seinen Atem in der kalten Winterluft, während sie verzweifelt den Horizont fixiert.
    Der Unbekannte spricht sie an: »Guten Abend.«
    Judith Appleby dreht sich um. Er ist ungefähr so alt wie sie. Er ist gut gekleidet, elegant sogar, mit dem tadellos geschnittenen Überzieher und dem weißen Seidenschal; er hat kurzes Haar, und er trägt eine Brille.
    >Ein Gentleman<, denkt sie. >Es gibt nicht den geringsten Anlaß, daß ich mich ängstige, denn er ist ein Gentleman. Im Gegenteil, er wird mir sogar helfen und meine Pakete tragen. Ich werde ihm erzählen, was mir passiert ist, und ihn bitten, mich zu beschützen...*
    Der Mann betrachtet sie mit leichtem Lächeln. Trotz der Kälte spürt Judith, die nach wie vor reglos dasteht, wie ihr der Schweiß ausbricht. Nein, er hat überhaupt nichts Beruhigendes an sich, weit davon entfernt... Wieviel lieber hätte sie in diesem Moment einen Typen mit schwarzer Lederjacke und fettigem Haar vor sich, der eine Fahrradkette aus der Tasche zieht! So einer hätte wenigstens in die Szenerie gepaßt!
    Aber was hat dieser distinguiert aussehende Mann bei Dunkelheit und Schneefall in solch einer abgelegenen Gegend zu suchen?
    Es kann nur eine Antwort darauf geben.
    »Was starren Sie die ganze Zeit so vor sich hin, Madam?« Judith Appleby hebt den Blick zu dem Mann empor. Er ist blond, das hatte sie zuvor nicht bemerkt. Und er wirkt sehr sanft, viel zu sanft...
    Mit einer Stimme, die unbefangen klingen soll, antwortet sie: »Nun, ich betrachte mir die Gegend.«
    »Was Sie da vor sich sehen, sind die Gaswerke.«
    Judith sieht jetzt genauer hin, was sie bislang nicht getan hat.
    Tatsächlich ist sie dabei, die städtischen Gaswerke von Coventry anzustarren.
    Die Stimme des Mannes klingt nach wie vor ironisch, doch jetzt schwingt ein ungeduldiger Unterton mit: »Wie lange wollen Sie da noch so
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