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Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Autoren: James Lee Burke
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Kapitel 1
    Ich kannte die Sonnier-Familie praktisch, solange ich lebte. Drei Sonniers hatten zusammen mit mir die katholische Grundschule in New Iberia besucht, einer war mit mir in Vietnam gewesen, und für eine kurze Zeit war ich sogar mit Drew, dem Nesthäkchen, gegangen, bevor ich in den Krieg zog. Durch Drew wurde mir klar, daß die Sonniers zu einer ganz bestimmten Kategorie von Menschen gehörten: Man mag sie nur aus der Distanz, aber nicht wegen dem, was sie sind, sondern wegen dem, was sie verkörpern – eine Art genetischer Produktionsfehler, als wäre in ihrer DNS das Element vergessen worden, das man als den Klebstoff der Menschheit bezeichnen könnte.
    Die Geschichte der Sonnier-Kinder war eine von denen, wo man instinktiv wußte, daß man nicht mehr wissen wollte, genauso wie man sich spätnachts in der Bar Leidensgeschichten einer verzweifelten und geplagten Seele eigentlich nicht anhören mag. Als Polizist habe ich die Erfahrung gemacht, daß Pädophile in der Lage sind, sehr lange ihrem Treiben nachzugehen und dabei ein geordnetes Leben zu führen und Dutzende, sogar Hunderte von Kindern zu mißbrauchen, weil man dazu neigt, auch offensichtliche Symptome beim Täter zu verdrängen. Der unaussprechliche Verdacht, den wir alle im Geiste durchaus hegen, widert uns an und verschreckt uns, und wir hoffen wider alle bessere Vernunft, daß unsere Instinkte uns trügen, daß es sich in Wirklichkeit um ganz banale Mißverständnisse handelt.
    Die systematische physische Mißhandlung von Kindern gehört in dieselbe Kategorie. Niemand will sich damit auseinandersetzen. In meinem ganzen Leben kann ich mich an keinen einzigen Fall erinnern, wo ein Erwachsener in der Öffentlichkeit eingegriffen hätte, wenn ein anderer Erwachsener sich über ein Kind hermachte. Den Staatsanwälten graut davor, jemanden wegen Kindesmißhandlung vor Gericht bringen zu müssen, weil ihre einzigen Zeugen für gewöhnlich Kinder sind, die schon der bloße Gedanke, gegen die eigenen Eltern aussagen zu müssen, in Angst und Schrecken versetzt. Und die Ironie des ganzen ist, wenn der Staatsanwalt Erfolg hat, wird das Opfer automatisch in die Obhut des Staates übergeben und wächst anschließend bei Pflegeeltern oder in einem staatlichen Heim auf, das wenig mehr ist als ein Lagerhaus für Menschen.
    Als Kind sah ich die Brandmale, die die Sonnier-Kinder an Armen und Beinen hatten. Sie stammten von Zigaretten. Die Wunden waren verschorft und sahen aus wie geringelte, graue Würmer. Es kam so weit, daß ich glaubte, die Sonniers lebten in einem Ofen und nicht in einem Haus.
    Es war ein wunderbarer Frühlingstag, als der Dienstleiter in der Telefonzentrale im Büro des Sheriffs von Iberia Parish, wo ich als Detective arbeitete, mich zu Hause anrief und mir mitteilte, daß jemand durch das Eßzimmerfenster von Weldon Sonnier geschossen hätte und ich Zeit sparen könnte, wenn ich direkt dorthin fuhr und nicht erst noch ins Büro käme.
    Ich saß am Frühstückstisch, und durch das offene Fenster roch ich den schweren, üppigen Duft der Hortensien im Blumenbeet und das Regenwasser der letzten Nacht, das von den Pecanbäumen und Eichen im Garten tropfte. Der Morgen war wirklich schön, und so früh am Tag hingen die Sonnenstrahlen wie weicher, wattiger Rauch in den Ästen der Bäume.
    »Bist du noch dran, Dave?« fragte der Beamte.
    »Sag dem Sheriff, er soll jemand anderen hinschicken«, sagte ich.
    »Hast du was gegen Weldon?«
    »Gar nicht. Aber manche von den Gedanken, die Weldon vermutlich durch den Kopf gehen, die passen mir gar nicht. «
    »Okay, ich sag’s dem Alten.«
    »Ach was, vergiß es«, sagte ich. »Wird ’ne Viertelstunde dauern, dann mach ich mich auf den Weg. Was wißt ihr noch?«
    »Das ist alles. Seine Frau hat’s gemeldet. Er nicht. Typisch Weldon, stimmt’s?«
    Man sagte, Weldon habe mehr als zweihunderttausend Dollar für die Renovierung der alten Familienvilla draußen am Rande des Bezirks am Bayou Teche ausgegeben, die aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg stammte. Das Haus war mit verwitterten, weißgestrichenen Ziegeln gebaut und hatte eine breite Terrasse mit Säulenvorbau. Im zweiten Stock war eine Veranda, die sich ums ganze Haus herumzog. An den Fenstern grüne Läden mit Lamellen, und an den beiden Enden des Daches identische Ziegelschornsteine. Und überall verschnörkelte, ornamentale Eisenverzierungen, die von historischen Bauten im French Quarter von New Orleans stammten. Die lange Auffahrt, die von der
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