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Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Titel: Das gefrorene Licht. Island-Krimi
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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PROLOG
    FEBRUAR 1945
    Das kleine Mädchen spürte, wie ihm die Kälte die Beine hinauf bis in den Rücken kroch. Sie versuchte, sich auf dem Vordersitz hochzurecken, um besser hinausschauen zu können. Konzentriert betrachtete sie die schneeweiße Landschaft, konnte aber kein Vieh entdecken. Draußen ist es zu kalt für die Tiere, dachte sie und wünschte sich, aus dem Auto steigen und wieder ins Haus gehen zu dürfen. Aber sie traute sich nicht, etwas zu sagen. Eine Träne rann langsam über ihre Wange, während der Mann neben ihr sich mühte, den Motor in Gang zu bringen. Sie presste die Lippen aufeinander und wandte ihr Gesicht von ihm ab, damit er es nicht sah. Er würde sehr wütend werden. Sie beobachtete das Haus, vor dem der Wagen stand, und versuchte, das andere Mädchen zu erspähen, aber das einzige sichtbare Geschöpf war der Hofhund Snúður. Er lag schlafend auf den Stufen vor der Haustür. Plötzlich hob er den Kopf und blickte sie starr an. Betrübt lächelte sie ihm zu.
    Das Auto sprang an, und der Mann richtete sich im Sitz auf. »Na endlich«, sagte er mit tiefer, rauer Stimme und fuhr los. Er warf dem Mädchen, das sich wieder zur Frontscheibe gedreht hatte, einen raschen Blick zu. »So, jetzt machen wir einen kleinen Ausflug.« Als sie über den holprigen Zufahrtsweg vom Hof wegfuhren, wurde das Mädchen auf dem Sitz durchgeschüttelt. »Halt dich fest«, sagte er, ohne sie anzuschauen.
    Schließlich erreichte das Auto die Straße, und sie fuhren eine Weile schweigend. Das Mädchen schaute aus dem Fenster, in der Hoffnung, ein paar Pferde zu sehen, aber alles war öde und leer. Ihr Herz machte jedoch einen Sprung, als sie die Gegend erkannte. »Fahren wir zu mir nach Hause?«, fragte sie mit dünner Stimme und großen Augen.
    »Könnte man vielleicht so sagen.« Das Mädchen reckte sich noch mehr und musterte die Umgebung genauer. Vor ihnen lag der vertraute Landstrich: In der Ferne war der Felsen zu erkennen, von dem Mama erzählt hatte, er sei eine versteinerte Trollfrau. Instinktiv beugte sie sich vor, um besser sehen zu können. Auf einer kleinen Anhöhe tauchte ein Auto auf, das ihnen entgegenkam. Das Mädchen glaubte, ein Militärfahrzeug zu erkennen. Der Mann bremste ab und befahl ihr, sich zu ducken. Sie tat es widerspruchslos; sie war es gewohnt, sich zu verstecken. Anscheinend war der Mann derselben Meinung wie Großvater, dass das Militär nichts Gutes brächte. Ihre Mama hatte ihr zugeflüstert, die Soldaten seien ganz normale Männer, genau wie Großvater. Nur jünger. Und hübscher. »So wie du.« Wie lieb ihre Mama sie dabei angelächelt hatte.
    Das kleine Mädchen hörte, wie sich das Motorengeräusch des anderen Wagens näherte, anschwoll, bis die beiden Fahrzeuge aneinander vorbeifuhren, und dann wieder schwächer wurde, als sie sich entfernten. Sie rutschte auf dem Sitz herum. »Du darfst dich wieder hinsetzen«, sagte der Fahrer, und sie setzte sich auf. »Weißt du, wie alt du bist?«, fragte er.
    »Vier Jahre«, antwortete sie.
    Der Mann schnaubte. »Du bist furchtbar schmächtig für eine Vierjährige.« Das Mädchen verstand das Wort nicht, wusste aber, dass es nicht gut war, so zu sein. Sie antwortete nicht. Schweigen. »Willst du deine Mama wiedersehen?«
    Das kleine Mädchen riss die Augen auf und starrte den Mann an. Fuhren sie etwa zu Mama? Sie spürte, wie allein bei dem Gedanken daran alles besser wurde. Eifrig nickte sie.
    »Dachte ich mir«, sagte der Mann und glotzte auf die vor ihnen liegende Straße. »Du wirst sie wiedertreffen.«
    Das Mädchen spürte vor Kälte seine Beine nicht mehr. Sie bogen in einen Weg, den sie genau kannte. Sie sah ihren Hof und lächelte das erste Mal seit langer Zeit. Jetzt würde alles wieder gut werden. Das Auto fuhr langsam auf den Hof zu und hielt an. Verzückt starrte das Mädchen das große, stattliche Haus an. Irgendwie wirkte es einsam und traurig. Kein Licht und kein Rauch über dem Schornstein. »Ist Mama hier?«, fragte sie ungläubig. Irgendetwas stimmte nicht. Als sie Mama zum letzten Mal gesehen hatte, lag sie im Bett, in einem Zimmer im Haus von diesem Mann. Krank. So wie Großvater. Krank, und niemand wollte Mama helfen, außer ihr. Ob Mama in der Nacht, als sie aus dem Bett verschwand, zurück nach Hause gegangen war? Aber warum hatte sie sie dann bei dem Mann zurückgelassen? Das hätte sie nie getan.
    »Deine Mama ist nicht genau hier. Aber du wirst sie treffen. Von jetzt an könnt ihr immer zusammen sein.« Er
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