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Flammen im Sand

Flammen im Sand

Titel: Flammen im Sand
Autoren: Gisa Pauly
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dem wunderbaren Anblick loszureißen. Nur
weil ihr plötzlich einfiel, dass sie die Dolci noch nicht vorbereitet hatte,
löste sie sich vom Geländer und lief zum Parkplatz zurück.
    Sie fuhr auf den Verkehrskreisel zu. Von dort bog sie in die
Norderstraße ein, die schnurgerade nach Wenningstedt hineinführte. Ob sie auf die
andere Straßenseite wechseln sollte? Dort gab es einen Fahrradweg, der zwischen
zwei Baumreihen verlief und womöglich Schutz vor dem Wind bot, den Mamma
Carlotta längst einen Sturm nannte. Von einem Sturm würde sie auch sprechen,
wenn sie wieder zu Hause war und der Familie und ihren Nachbarn davon erzählte,
sobald sie nach dem Wetter auf Sylt gefragt wurde. Alle fragten sie immer als
Erstes nach dem Wetter. In Umbrien konnte sich niemand vorstellen, dass man
sich auf einer Insel in der Nordsee wohlfühlen konnte. Lucia war jedesmal, wenn
sie in Umbrien einen Besuch machte, mitleidig angesehen worden, weil sie ihr
Leben in der Kälte fristen musste und für ihre Liebe die Sonne, die Wärme und
die Leichtigkeit aufgegeben hatte. Noch so oft hatte Lucia erklären können,
dass sie es mittlerweile liebte, dieses Leben in der kalten, klaren Luft, unter
dem heftigen Wind – niemand hatte ihr geglaubt. Ihre Mutter am allerwenigsten.
Inzwischen jedoch gehörte Mamma Carlotta zu denen, die Sylt verteidigten, das
Klima, das eisige Wasser, den Wind, der auch im Sommer kalt und schneidend war.
    Sie war auf der linken Straßenseite geblieben und an der Einmündung
zum Hochkamp kurz in Versuchung, links abzubiegen und endlich Käptens Kajüteden Besuch abzustatten, auf den Tove, der Wirt, sicherlich
längst wartete. Schon seit mehreren Tagen war sie auf der Insel, aber noch
immer hatte sich keine Gelegenheit gefunden. Da niemand von ihren Besuchen in
der Imbiss-Stube wissen durfte, musste sie auf eine gute Gelegenheit warten,
und die hatte es bisher nicht gegeben, weil Mamma Carlotta beinahe täglich mit
Carolin im Atelier gewesen war.
    Jetzt hätte es ihr gutgetan, sich aufzuwärmen an einem Cappuccino,
zu stärken mit einem Vino rosso und sich sagen zu lassen, dass alles halb so
schlimm sei, dass so ein Wind noch längst kein Sturm und auf Sylt vollkommen
normal sei. Sicher hätte ihr Toves Zuspruch gutgetan und Fietjes Gleichmut
auch.
    Mamma Carlotta war jemand, der sich gern etwas einreden ließ. Das
Leben war viel leichter zu ertragen, wenn man fest daran glaubte, dass auf
jedes Tief ein Hoch folgte, auf jeden dunklen Tag ein sonniger und eben auf
jeden Sturm eine Flaute. Aber sie wurde im Haushalt ihrer Tochter gebraucht, da
blieb keine Zeit für einen Besuch in Käptens Kajüte. Sie musste selbst dafür
sorgen, dass sie den Mut nicht verlor. Im selben Rhythmus, in dem sie in die
Pedale trat, belehrte sie sich, dass der Sturm nur ein Wind und der Wind von
der Insel nicht wegzudenken war. Erst recht nicht im Februar!
    Das Hotel entstand in List, zwischen dem Ortskern und dem
Hafen, in der Nähe des Wattenmeers.
    Â»Das ist viel zu groß, um schön zu sein«, knurrte Erik. »Haben wir
nicht schon genug von diesen viel zu großen Hotels?«
    Sören nickte, aber er schien den Neubau, über dem die Richtkrone
schwebte, gar nicht zu sehen. Stattdessen wies er zu einer frisch ausgehobenen
Baugrube, die von der Straße aus zu erkennen war. »Anscheinend irgendein
Nebengebäude. Personaltrakt, Garagen oder so. Da werden sie es gefunden haben.«
    Der Maurerpolier empfing Erik und Sören am Straßenrand und
dirigierte ihr Auto auf das Baustellengelände. Der Wind riss Erik die Fahrertür
aus der Hand, fuhr heulend ins Auto und machte ihm das Aussteigen schwer. Er
sah in das ernste Gesicht des Poliers, der seinem Auto gefolgt war und nun
neben der Fahrertür auftauchte. »Komische Sache, das.«
    Uwe Jöns, einer der Architekten, kam hinzu und erklärte etwas
weniger einsilbig, um was für eine komische Sache es sich handelte. Er
berichtete, dass der Baggerführer plötzlich seine Arbeit unterbrochen und
aufgeregt nach ihm gerufen habe. »Ein Gerippe! Ganz deutlich zu erkennen! Etwa
zwei Meter tief. Vielleicht ein Tier, aber vielleicht …« Er sprach die
schreckliche Vermutung nicht aus. »Ich dachte, es ist besser, wenn ich die
Polizei rufe.«
    Dass er damit recht getan hatte, erkannte Erik schnell. Er hoffte,
dass der gewissenhafte junge Architekt keine Schwierigkeiten
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