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Flammen im Sand

Flammen im Sand

Titel: Flammen im Sand
Autoren: Gisa Pauly
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werde dafür
sorgen, dass Carolin pünktlich zum Essen zu Hause ist.«
    Geraldine Bertrand wünschte Mamma Carlotta sogar noch einen schönen
Tag, doch sie erhielt keine Antwort. Mamma Carlotta schloss den Reißverschluss
ihrer dicken Jacke so hoch wie möglich und holte Mütze, Schal und Handschuhe
hervor. Solange sie nicht aus ihrem umbrischen Dorf herausgekommen war, hatte
sie nichts dergleichen besessen. Dort reichte eine warme Strickjacke, die sie
sich im Winter überzog, und gelegentlich, wenn es besonders kalt war, ein
großes wollenes Tuch, das sie sich außerdem überwarf. Aber auf Sylt reichte das
nicht. Carlotta hatte vorher nicht geahnt, wie kalt die Luft und wie eisig der
Wind sein konnten. Lucia hatte oft darüber gesprochen, wenn sie in Umbrien zu
Besuch war, aber erst jetzt, als sie zum ersten Mal im Winter auf Sylt war,
konnte Mamma Carlotta ihre Tochter verstehen.
    Es war der 18. Februar, drei Tage vorm Biikebrennen. Hauptkommissar
Erik Wolf fragte sich bang, wie seiner Schwiegermutter der Grünkohl schmecken
würde, der am Tag des Biikebrennens in jeder Familie und in jeder Gaststätte
der Insel auf den Tisch kam. Vermutlich würde sie sich rundheraus weigern, auch
nur zu probieren, was ihr vorgesetzt wurde und was in der Tat nicht so
appetitlich aussah wie Mamma Carlottas marinierte Vorspeisen. Aber da sie alles
kennenlernen wollte, was früher zu Lucias Leben gehört hatte, würde sie
vielleicht einen Versuch machen.
    Lucia hatte jedes Mal die Nase gerümpft, wenn sie mit Erik und den
Kindern nach dem Biikebrennen zum Grünkohlessen gegangen war. Und sie hatte nur
zwei oder drei Gabeln probiert und dann den Teller zur Seite geschoben. Die
fettglänzenden Kochwürste hatte sie ihren Kindern sogar verbieten wollen. »Das
kann doch nicht gesund sein!« Aber vergeblich! Carolin und Felix hatten sich
Lucias Portion sogar mit einverleibt und keinerlei Verdauungsprobleme
davongetragen, obwohl sie natürlich auf den lindernden Köm verzichten mussten,
ohne den Erik kein Grünkohlessen gesund überstanden hätte.
    Ach, Lucia! Wie sehr sie ihm fehlte.
    Erik stand auf, riss lustlos ein Kalenderblatt ab und sah sich um,
als wollte er ein paar Möbel umstellen, damit auch seine Erinnerungen
zurechtgerückt wurden. In Wirklichkeit nahm er die Hässlichkeit seines
Arbeitsplatzes schon lange nicht mehr wahr. Längst hatte er sich an das
ungepflegte Mobiliar gewöhnt, an die Topfpflanzen, die jedes Mal im
allerletzten Augenblick vor dem Vertrocknen gerettet wurden, an die vergilbten
Tapeten und die lieblos eingerahmten Fotos von den Sturmfluten des letzten Jahrhunderts.
Nicht einmal die abgestandene Luft störte ihn mehr.
    Sein Assistent Sören Kretschmer hatte sich im Laufe der Jahre seiner
Anspruchslosigkeit angepasst. Anfangs hatte er noch gegen die Schmucklosigkeit
rebelliert und versucht, mit frischen Blumen, einem Kunstkalender und regelmäßigem
Lüften seine ästhetischen Bedürfnisse zu befriedigen, aber mittlerweile hatte
er diese Bemühungen eingestellt.
    Chef und Assistent waren sich immer ähnlicher geworden. Und wenn
Eriks Schwiegermutter auf Sylt zu Besuch war, waren sie sich am ähnlichsten.
Beide sehnten sie dann die Mittagspause herbei und machten sich vorher gegenseitig
den Mund wässrig bei den Überlegungen, was Mamma Carlotta gekocht haben mochte.
Dass Sören während Carlottas Aufenthalt auf Sylt seine Mahlzeiten im Hause
seines Chefs einnahm, war mittlerweile für alle selbstverständlich geworden.
Hatte er sich anfänglich noch geziert, vertraute er nun darauf, dass er die
Schwiegermutter des Hauptkommissars schwer kränken würde, wenn er ihre Kochkunst
verschmähte.
    Â»Ich hoffe, sie vergisst vor der Nähmaschine nicht das Kochen«,
sagte Erik und gähnte. »Seit Carolin ihr Praktikum in dem Modeatelier macht,
wird bei uns mehr genäht als gekocht.«
    Er streckte die Beine von sich, die in einer bequemen Breitcordhose
steckten. Die trug er sommers wie winters gern, und nur im Hochsommer
verzichtete er auf seinen geliebten Pullunder. Lucia hatte gelegentlich
versucht, ihn in eine figurbetonte Jeans zu stecken, in ein flottes Poloshirt
und einmal sogar in einen Kaschmirpullover. Aber Erik ließ keine unbequeme
Kleidung an sich heran und erst recht keine, auf die man achtgeben musste, weil
sie empfindlich war und nicht in der Waschmaschine gewaschen werden
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