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Flammen im Sand

Flammen im Sand

Titel: Flammen im Sand
Autoren: Gisa Pauly
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Schritten den Weg zur Düne hinaufstieg. »Die kenne ich«, sagte
er. »Das ist eine dieser Modetanten. Die beiden Französinnen, bei denen Carolin
ihr Schulpraktikum macht.« Er sah auf die Uhr. »Was meinen Sie?«, fragte er
dann, »hat es noch Sinn, am Süder Wung vorbeizufahren? Glauben Sie, dass von
dem Mittagessen noch was übrig ist?«
    Eines hatte Mamma Carlotta noch nie leiden können: Wenn
das Essen fertig war, die Familie aber nicht pünktlich bei Tisch erschien oder
– noch schlimmer – wenn im letzten Augenblick jemand absagte. Die dritte
Möglichkeit, dass ein Angehöriger, für den ein Teller auf den Tisch gestellt
worden war, einfach nicht erschien, befand sich außerhalb ihrer Erwägungen. Das
hatte sich der Freund ihrer zweitältesten Tochter einmal erlaubt und lange
gebraucht, um das Herz seiner zukünftigen Schwiegermutter zurückzuerobern, das
sonst nicht nur für ihre eigenen Kinder, sondern selbstverständlich auch für
deren Partner schlug.
    Erik und Sören aber hatten natürlich keine Sanktionen zu befürchten.
Sörens Trauer und Verzweiflung waren sehr eindrucksvoll durch den Hörer
gedrungen, als er Mamma Carlotta mitteilen musste, dass dienstliche Pflichten
sie vom pünktlichen Erscheinen am Mittagstisch abhielten. Ärgerlich war die
Sache zwar trotzdem, aber Mamma Carlotta sah ein, dass daran nichts zu ändern
war.
    Zum Glück kam Felix zur vereinbarten Zeit aus der Schule zurück und
hatte Hunger wie ein Wolf. Jedes tiefe Gefühl – dazu gehörten auch Hunger und
Durst – tat er mit dem heftigen Zuschlagen der Haustür kund, mit dem Poltern
seiner Schultasche, die er vor die untere Treppenstufe warf, und einem laut
vorgebrachten Fluch oder einem Jubelschrei, je nachdem. In diesem Fall war es
ein Jubelschrei, denn die Mathelehrerin hatte eine Klassenarbeit nicht
gewertet, die Felix’ Notendurchschnitt in einen bedenklichen Bereich zwischen
vier und fünf befördert hätte, was viele Diskussionen mit seinem Vater über
Lerneifer, Musik während der Schularbeiten und Nachhilfeunterricht nach sich
gezogen hätte.
    Felix war also gut gelaunt, verpasste seiner Nonna einen Kuss aufs
rechte Ohr, warf sich auf einen Stuhl und trommelte mit allen zehn Fingern auf
dem leeren Teller herum. Er hatte nicht einmal etwas gegen die Debatte, warum
seine breiten Turnschuhe nicht geschnürt werden durften und sein Käppi
unbedingt auf dem Kopf bleiben musste. Selbstverständlich führten sämtliche
Vorhaltungen wie immer zu nichts, aber Mamma Carlotta hatte trotzdem das gute
Gefühl, mal wieder einen Beitrag zur Erziehung ihres Enkels geleistet zu haben.
    Â»Felice! Was soll nur aus dir werden?«
    Â»Weißt du doch! Profifußballer!«
    Felix genoss die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Großmutter gerade
so lange, bis auch Carolin heimkam und nichts anderes als Kappnähte, Ziernähte
und Steppnähte im Sinn hatte. Mittlerweile hatte Mamma Carlotta sämtliche
Fachbegriffe des Schneiderhandwerks in einem Wörterbuch nachgeschlagen und
musste nur noch selten nachfragen, wenn Carolin mit ihren Fachkenntnissen glänzen
wollte.
    Felix griff erst wieder ins Gespräch ein, als Carolin den Vorschlag
unterbreitete, ihm ein Hemd zu nähen, weil sie im Modeatelier gerade gelernt
hatte, was ein Kragenbeleg war. Bei einem Hemd für Felix, bei dem es nicht so
drauf ankam, hätte sie die Theorie gern in die Praxis umgesetzt.
    Felix jedoch war die Undankbarkeit in Person, wollte nichts von
einem selbst genähten Hemd wissen, auch nicht, wenn er sich den Stoff selber
aussuchen durfte. Wenn überhaupt, kam für ihn nur ein Hemd einer sehr
angesagten Skater-Firma infrage. Am liebsten hielt er sich jedoch weiterhin an
T-Shirts im Sommer und Sweatshirts im Winter.
    Daraufhin beschloss Carolin, Sören dieses Angebot zu machen, und
Mamma Carlotta bekräftigte sie darin, weil sie sicher war, dass Eriks Assistent
sich nichts Schöneres vorstellen konnte als ein Hemd, in das ein junges Mädchen
viel Zeit und Liebe investiert hatte.
    Â»Ein Unikat!«, erklärte Carolin stolz. Denn auch im Modeatelier von
Westerland wurden Unikate angefertigt. Einer Kundin musste es viel wert sein,
ein Kleidungsstück zu kaufen, in dem sie keiner anderen Frau begegnen würde.
    Beschwingt stieg Carolin in die erste Etage hinauf, um sich in ihrem
Zimmer Gedanken um die
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