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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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Abenteuer. Jenseits des Tals auf der anderen Seite der Berge lockte ihn der Norden. Basel, wo der Onkel sich niedergelassen hatte. Dann Straßburg. Lyon. Die Niederlande mit Rotterdam und Amsterdam, von wo die Schiffe in ferne Länder abfuhren. Und natürlich das Rheintal mit den großen Handelsstädten Frankfurt, Mainz und der freien Reichsstadt Köln, von der alle Auswanderer vollmundig berichteten, wenn sie, selten genug, die Familien besuchten, die in den Alpen zurückgeblieben waren.
    Dass er in dieser Stadt hängen geblieben war, lag sicher auch an diesem Feminis. Er verstand sich auf Anhieb gut mit ihm, obgleich der Mann aus Crana fünfzehn Jahre älter war als er und das mühsame Hausiererleben längst aufgegeben hatte. Eine Deutsche habe er geheiratet, im August 1687, Anna Sophia Ryfarts aus Rheinberg am Niederrhein. Das erste Kind habe es besonders eilig gehabt. Feminis hatte amüsiert den Mund verzogen, als er es dem viel Jüngeren beim vierten Becher Wein beichtete. Nur sechs Monate habe es die kleine Elisabetha im Mutterleib ausgehalten! Und leider auch nicht lange auf dieser Erde, hatte er leise hinzugesetzt.
    Aber fast jedes Jahr kam ein neues Kind, und Feminis war mit Sack und Pack zuerst nach Mainz und eben vor Kurzem hierher nach Köln gezogen, wo er in Unter golden Wagen mit Französisch Kram handelte. Er war ein leidenschaftlicher Kaufmann. Daneben, fuhr er fort, stelle er im Keller seines Hauses ein wenig Aqua mirabilis her, dieses duftschwere Wasser, von dem die Alten erzählten, es sei ein wahres Wundermittel und kuriere Schmerzen aller Art. Er warb nicht dafür, aber die Wirkung seines Heilwassers sprach sich herum. Feminis war es zufrieden.
    Mit den Jahren waren die Augen seines Freundes trüber, die Schritte langsamer geworden. Aber dennoch trafen sie sich bis zu dessen Tod mit weit über siebzig fast täglich im »Fliegenden Amsterdamer«, wo Gerrit, inzwischen selbst ein alter Mann, ihnen ohne große Worte den gewohnten Krug Wein vorsetzte. Die beiden hätten sich ein besseres Wirtshaus leisten können. Aber hier schmeckte ihnen der Bleichert besonders gut, hier trafen sie andere Lombarden, auch Piemontesen, Mailänder, Venezianer, Elsässer, Leute vom Niederrhein. An warmen Sommerabenden stand man mit den Bechern in den Händen vor der Tür der Wirtsstube und blickte wehmütig auf die Schiffe, die vor Anker lagen. Die neugierigen oder missbilligenden Blicke der Passanten, die sich über das laute Gerede der Ausstädtischen erregten, ertrug man mit stoischer Gelassenheit. In dieser Umgebung fühlten sich Dalmonte und Feminis seltsam geborgen. Dabei besaßen sie längst das große Bürgerrecht und durften sich Kölner nennen.
    Â»Aber wer die ›kölsche Sproch ‹ eben nicht mit der Muttermilch aufgesogen hat, wird immer ein Fremder bleiben«, hatte Dalmonte stets gespottet.
    Â»Eh, che cosa vuoi? Qui dentro, siamo vigezzini «, pflegte Feminis zu erwidern und schlug sich dabei auf die Brust. Dann hoben sie ihre Becher, tranken auf ihr Tal, auf ihr Valle Vigezzo , und betrachteten die Gäste im »Fliegenden Amsterdamer«, die jedes Jahr jünger wurden.
    Dalmonte grübelte. Was, wenn Cettinis Anschuldigung und seine eigene Verdächtigung stimmten und Johanna Catharinas Tod nicht gottgewollt war? Aber wer, um Himmels willen, sollte so etwas Unbegreifliches getan haben? Und wie? Und warum? Er fühlte sich mit einem Mal sehr einsam. Feminis fehlte ihm. Langsam trank er seinen Wein aus.

VIER
    Warum hatte ihm niemand gesagt, dass diese Stadt stank? Alle hatten sie immer nur von den unzähligen Kirchen erzählt. Dass in jeder Straße, an jeder Ecke eine stünde. Manchmal sogar zwei oder drei, aneinandergereiht wie Perlen auf einer Schnur. Mit in den Himmel ragenden Glockentürmen, die sich gegenseitig an Höhe überböten. Und von der mächtigen Stadtmauer hatten sie ihm vorgeschwärmt, mit ihren Basteien und Torburgen, von den bunten Märkten und dem Mastenwald im Hafen, von den vielen Menschen, den süffigen Bieren und süßen Weinen. Feixend und hinter vorgehaltener Hand hatten sie ihm von Winkelwirtschaften erzählt, draußen vor der Stadt hinterm Bayenturm. Dort müsse er hin. Unbedingt. Dollbier probieren. Es mache so herrlich wunderselig. Nur zwei Becher, und schon sei das Leben ein Paradies und die Augen der Mädchen funkelten wie Juwelen.
    Aber
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