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Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Freund: Roman (German Edition)
Autoren: Carlos María Domínguez
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Eins
    Er trug den Namen seines deutschen Großvaters, eines Ingenieurs, der am Panamakanal mitgebaut, Marokkos Stromnetz entworfen und die englische Eisenbahn bis in Uruguays Norden gebracht hatte. Der Vater war bei der Handelsmarine gewesen und hatte als einer der ersten Offiziere seinen Fuß in die Antarktis gesetzt. Ob notgedrungen oder aus Schwäche, Waldemar Hansen wurde Notar. Beinahe hätte er geheiratet, sprang aber vor der Hochzeit ab und hielt von da an Liebe und Amtliches auseinander, hatte jedoch aus einer Beziehung in jungen Jahren eine Tochter. Er kümmerte sich um alles, was sie brauchte, bis Eva nach Italien zog, wo er sie alle zwei, drei Jahre besuchte, wenn er es sich leisten konnte, seine Ersparnisse für Reisen in Städte auszugeben, von denen er beladen mit erschwinglichen Kunstwerken zurückkehrte. Für Waldemar war die Kunst eine untrennbare Gefährtin des Geldes und dessen beste Rechtfertigung. In seiner Diele hing sogar ein Carlos Sáez. Er war bei Weitem kein Millionär, hatte nur ein gutes Auskommen, wohnte im fünften Stock über dem Bulevar España, besuchte Vernissagen,Konzerte, Theaterpremieren und scheute keine Ausgaben, wenn seine Reisen in die Opernsaison fielen.
    Ich hatte ihn in der Kanzlei des Anwalts kennengelernt, der mich bei meiner Scheidung vertrat, ein Büro in einem alten Haus in der Calle Rincón. Während wir beide im Vorzimmer warteten, faszinierte mich, wie versunken er Pierre Francastel las. Ich kannte dessen Buch über die figurative Malerei, doch er las die Studie zum Impressionismus, dort, auf dem Platz gleich neben der Tür, durch die man uns eben mitgeteilt hatte, dass sich unser Herr Anwalt verspäten würde. Er war um die sechzig, hatte große Hände, kräftige Schultern, doch in den Falten seines Gesichts, kantig und arglos, hielt sich hartnäckig etwas Kindliches. Damit ich nicht wegdöste, zählte ich erst die gedrechselten Windungen des Schreibtischbeins, ging dann zu den blauen Streifen des Stuhlpolsters über, zu den Blumen im Teppichmuster, den grünen Linien der Tapete, und als ich nichts mehr zum Zählen fand, sagte ich: »Ehe Castro kommt, hat sich einer von uns die Augen verdorben.«
    Die von Hansen waren grau, er ließ das Buch sinken und blickte mich voll verständlicher Skepsis an. Aus Skepsis wurde Neugier, und aus Neugier wurden Scherze, mit denen wir einander vorstellten. Mir gefielen sein Humor und die Resignation, mit der er das Buch auf dem Schoß zuklappte. Was auch immer den Anwalt in der Stadt aufhielt, die geschenkte Zeit beförderte ein Gespräch über die Zerlegung desLichts, und eine halbe Stunde später vertauschten wir die bequemen Sessel im Wartezimmer mit den Hockern einer Bar, in der wir unsere Diskussion darüber fortsetzten, was für Absichten Monet mit seinem Garten in Giverny verfolgt hatte. Waldemar sprach bedächtig und nachdenklich, griff das eben Gehörte auf, gab ihm eine neue Richtung, und alles, was er sagte, war bedenkenswert. Ich begann, ihn regelmäßig zu besuchen, weil ich einen dieser einsamen Männer in ihm vermutete, die in Montevideo immer für Überraschungen gut sind. In Buenos Aires oder Paris wartet ein einsamer Mann darauf, dass ein Glücksfall sein Leben verändert. In Montevideo sammelt er Aschenbecher alter Hotels, kultiviert ein Faible für dänische Filme oder für Stalins Reden während des Zweiten Weltkriegs, einerlei, es soll der Fortbildung dienen und ist am Ende doch nur eine subtile Art des Verzichts. Bei Hansen war es die Kunst und ihre Rechtfertigung.
    Unsere Treffen fanden immer bei ihm statt, wir bestellten Pizza, tranken ein paar Gläser und hörten Jazz. Er besaß eine ausgezeichnete Plattensammlung. Berufstätig war er nicht mehr, das wusste ich, ebenso, dass er nicht mehr länger die Trennung von einer Freundin beklagte. Er erwähnte eine Schwester, mit der er sich nicht verstand, und Schwierigkeiten beim Einschlafen, so dass er mich zum Bleiben drängte und oft Mittel fand, mich aufzuhalten. Seine Großzügigkeit war so überwältigend wie die Qualitätseines Whiskys und die Gewitztheit, mit der er dem Gespräch immer wieder eine unverhoffte Wendung gab.
    Er zeigte mir Fotos von seiner Tochter, ebenso seinen Stolz, dass er für sie gesorgt hatte, trotz der Distanz, für die die Mutter verantwortlich gewesen war, die noch zweimal geheiratet und weitere Kinder bekommen hatte. Dunkelhaarig, mit markanter Nase und lebhaften Augen auf den Bildern, die sie mit fünf in einem Planschbecken
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