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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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zumute. Dennoch hielt er Ausschau nach einem bekannten Gesicht. Seit zwei Tagen wartete er auf eine Ladung Tee und Kaffee aus Amsterdam, die so schnell wie möglich umgeladen und auf dem Landweg weiter zu Kunden in Stuttgart und Wien gesandt werden musste. Vielleicht fand er jemanden, der ihm sagen konnte, wo der Bönder gerade lag und wann er mit dessen Ankunft in Köln rechnen konnte.
    Das Frühjahrsgeschäft hätte besser sein dürfen, dachte er. Zuerst hatte der Eisgang die Rheinfahrten unmöglich gemacht, drei Wochen später das Hochwasser. Überhaupt waren in den letzten Jahren die Winter immer kälter geworden, ein paarmal konnten die großen Lastkähne erst Mitte März wieder fahren. Dann war Schmalhans Küchenmeister in den Familien der Schiffer und Hafenarbeiter, und die Mitglieder der mildtätigen Nikolausbruderschaft an Sankt Maria Lyskirchen hatten viel zu tun, um die ärgste Not in der Gemeinde zu lindern.
    Paul Merckenich fiel ihm ein. Mit ihm sollte er sprechen. Es hatte lang gedauert, aber im Laufe der Jahre waren sie Freunde geworden, der Ratsherr und er, vielleicht weil sie denselben Vornamen hatten. Vor allem aber gehörten sie beide der Bruderschaft an. Merckenich war überdies Provisor der Kirche, und er war ein besonnener Mann. Cettinis letzter Satz ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.
    Ein ungeheuerlicher Verdacht! Das Schlimme war, er hatte ihn auch schon gehabt. Es war sein erster Gedanke gewesen, als Bianco ihnen die traurige Nachricht von Johanna Catharinas Tod verkündete, und er hatte sich dafür geschämt. Sie schien doch gesund, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Vielleicht ein wenig müde, ja. Aber war das ein Wunder, wenn man bedenkt, was sie alles geschafft hatte in den letzten Wochen? Den Vater beerdigt, den Nachlass geregelt und das Handelsgeschäft weitergeführt. Und nicht einmal schlecht, dachte er anerkennend. Innerhalb weniger Wochen hatte sie mehr Kolonialwaren umgesetzt als ihr Vater im ganzen letzten Jahr. Aber vielleicht war doch alles zu viel für sie gewesen.
    Der Spediteur ging zu Gerrit. Seit Feminis tot war, musste er seinen Wein allein dort trinken. In Gedanken stieß er jedes Mal auf den alten Freund an. Er schalt sich einen sentimentalen Trottel. Je älter er wurde, desto mehr hing er der Vergangenheit nach.
    Fast zeitgleich waren die beiden Männer, Giovanni Paolo Feminis und Paolo Luciano Dalmonte, vor über vierzig Jahren, Ende 1693, nach Köln gekommen. Sie waren buchstäblich übereinander gestolpert, als Dalmonte einem Schwall Wasser ausweichen wollte, den eine tüchtige Kölner Hausfrau im hohen Bogen auf die Straße schüttete. Dabei war er gegen einen Mann gestoßen, den er im Fallen mit zu Boden riss.
    Â»Porca vaca dul Blitz« , entfuhr es ihm. Er rieb sich den Ellbogen, mit dem er aufs Pflaster aufgeschlagen war.
    Â»â€¦Â dul Blitz?« , wiederholte der andere und starrte Dalmonte verblüfft an. » Dul Blitz! Non mi dire! Du musst Vigezzino sein!« Und dann fingen beide an zu lachen, die Seifenlauge hatte längst ihren Hosenboden durchnässt, aber sie saßen noch immer auf der Straße, wiederholten ein ums andere Mal » Porca vaca dul Blitz! « , umarmten sich und konnten nicht aufhören zu lachen. Die Kölner rümpften die Nase. Eine Frechheit, wie diese Leute mit den welschen Gesichtern sich benahmen! Als ein zweiter Eimer Wasser auf die Straße gekippt wurde, stoben sie auseinander, und auch die beiden Männer erhoben sich endlich, klopften sich gegenseitig den Dreck aus den Kleidern und beschlossen, bei Gerrit im »Fliegenden Amsterdamer« unten am Hafen ihre neue Freundschaft zu begießen.
    Achtzehn war er damals und gerade vier Jahre von zu Hause weg, erinnerte sich Dalmonte.
    Mit einer Gruppe Pomeranzenhändler, den Bauchladenkasten um den Hals gehängt, war er durch die Lande gezogen, bei Wind und Wetter und oft genug mit leerem Magen. Auf Märkten, an Küchentüren und in Gastwirtschaften hatten sie ihre Waren angeboten. Orangen und Zitronen, Spezereien und Rosinen, manchmal auch Kramwaren. Die billigen Knöpfe, Schnüre und Schnallen waren bei den Frauen beliebt. Den Gewinn strich der Padrone ein.
    Er war der Älteste von dreizehn, trotzdem hatte die Mutter geweint, als er ging. Der Hunger war das eine gewesen, das ihn von zu Hause fortgetrieben hatte. Da waren aber auch seine Neugier und sein Drang nach
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