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In den Armen des Dämons: Roman (German Edition)

In den Armen des Dämons: Roman (German Edition)

Titel: In den Armen des Dämons: Roman (German Edition)
Autoren: Carolyn Jewel
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    Jemand folgte ihr. Er war ihr bereits zweimal aufgefallen, zuletzt vorhin, vor zwanzig Minuten, als sie sich einen Kaffee zum Mitnehmen gekauft hatte.
    Jetzt stand sie mitten in Chinatown an einer Fußgängerampel und wartete darauf, dass diese auf Grün schaltete. Er wartete auch. Es war derselbe Mann. Unverkennbar allein schon durch seine beeindruckende Körpergröße.
    Sie schaute über ihre Schulter. Sein Blick glitt über sie, und schnell sah sie wieder weg. Ihr Herz klopfte wie verrückt. Farben flackerten am Rand ihres Sichtfeldes auf, ein sicheres Anzeichen völliger Erschöpfung. Wenn Magellan ihn geschickt hatte, dann war sie bereits so gut wie tot.
    Bitte, dachte sie, lass mich keinen Anfall bekommen! Nicht jetzt.
    Der Kaffee war längst getrunken, doch noch immer hielt sie den Becher in der Hand, noch immer hatte sie rasende Kopfschmerzen. Spätestens in einer Stunde würde sie sich nicht mehr auf den Beinen halten können, unfähig, irgendetwas anderes zu tun, als in einem abgedunkelten Raum zu liegen und darauf zu warten, dass der Anfall vorüberging.
    All diese Geräusche machten es nicht besser. Carson war nicht an den Lärm und eine solche Menge Menschen gewöhnt. Nur selten ging sie unter Leute. So gut wie nie. Und allein erst recht nicht! Selbst wenn sie nicht verfolgt würde, hätte sie so die Arme um sich geschlungen, den leeren Kaffeebecher noch immer in der Hand– nervös und ratlos, wie sie war. Inzwischen war sie sicher, dass sie sich nicht mehr lange genug auf den Beinen würde halten können, um es zurück zu der Toreinfahrt zu schaffen, in der sie die vergangene Nacht verbracht hatte.
    Mehr als alles andere sehnte sie sich danach, nach Hause zurückzukehren, zu duschen und sich in ihrem Bett zusammenzurollen, in ihrem Zimmer, dem vertrauten Haus, und sich geborgen und sicher zu fühlen. Allein der Gedanke daran schnürte ihr die Kehle zu. Doch sie konnte nicht zurückgehen. Nie mehr. Denn sie hatte etwas begriffen, von dem sie wünschte, sie hätte es nie begreifen müssen, und etwas gesehen, was sie lieber nie gesehen hätte. Gestern noch hatte sie in einem Herrenhaus gelebt, mit fünfzehn Bediensteten, die Álvaro Magellan umsorgten. Heute streifte sie durch San Francisco, mit gerade mal hundert Dollar in der Tasche und in Kleidern, die vorher anderen Leuten gehört hatten.
    Die Ampel schlug um. Einen Wimpernschlag lang bewegte sich niemand, während noch zwei Autos und ein Fahrradkurier über die Kreuzung schossen. Dann drängten all diese normalen, gewöhnlichen Leute nach vorn, und Carson ließ sich von ihnen mittragen. Genau wie ihr Verfolger. Doch halbwegs den Block hinunter wurde die Menschenmenge immer dünner. Carson blieb vor einem Juweliergeschäft stehen und starrte in die Auslage, aber sie blickte nicht auf die Schmuckstücke. Während sie sein Spiegelbild betrachtete, überlegte sie, was sie jetzt tun sollte.
    Dieser große, muskulöse Mann in der verwaschenen Jeans– blassblau an den Oberschenkeln, weiß an den Knien–, dem alten T-Shirt und den Cowboystiefeln wirkte ein bisschen zu cool, um für Magellan zu arbeiten. Ein Zwei-Tage-Bart warf Schatten auf seine Wangen, sein Haar war dunkel, würde in der Sonne aber bestimmt wie Bronze schimmern. Einen Haarschnitt hätte er durchaus vertragen können. Welche Augenfarbe er hatte, konnte sie nicht erkennen, dafür war er zu weit entfernt. Er stand gegen eine Wand gelehnt, lässig wie ein Calvin-Klein-Model.
    Sie selbst hatte ebenfalls für Magellan gearbeitet, wie jeder in seinem Haus, auch wenn sie nicht zu den bezahlten Angestellten gehört hatte. Álvaro Magellan bevorzugte den » Yes, Sir!«-Typ. Ihr Verfolger jedoch sah nicht so aus, als kämen die Worte » Yes, Sir!« jemals über seine Lippen.
    Carsons Puls verlangsamte sich, es gelang ihr wieder, normal zu atmen. Doch die Kopfschmerzen wurden schlimmer. Sie ging ein paar Schritte zur Seite und wandte dabei den Kopf, um den Fremden weiterhin im Auge zu behalten. Vielleicht war er ja bloß ein mieser kleiner Gauner, derihr die Handtasche stehlen wollte– wenn sie Glück hatte.
    Sie ging weiter zum nächsten Schaufenster, tat so, als betrachtete sie die ausgestellten Porzellankatzen. Doch Mr. Cowboy-Boots spiegelte sich nicht länger in der Scheibe. Vielleicht hatte ja inzwischen eine andere Handtasche sein Interesse geweckt.
    Geschickt ließ ein Mann an einem Verkaufsstand klingende Qigongkugeln über seine Handfläche rollen. Carson sah ihn anerkennend an, doch
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