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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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Bethlehem am Eigelstein eingetreten.
    Die Herren verstummten. Nur der Famulus schabte unbekümmert über Cettinis lang gestreckten Hals und summte dabei leise vor sich hin. Im Raum hing eine Wolke von Muskat und Nelken. Der Tod der Jungfer Johanna Catharina wog schwer.
    Als der Gehilfe seine Arbeit beendet hatte, stand Cettini auf und strich sich den Rock glatt. Er zog eine Münze aus der Tasche und drückte sie dem Jungen in die Hand. Schon fasste er nach der Türklinke, da drehte er sich noch einmal um.
    Â»Ich glaube nicht an einen natürlichen Tod der Signorina«, sagte er in die Stille hinein. Mit einem leisen Klack schnappte die Tür hinter ihm ins Schloss.
    Das Portugalwasser, mit dem Matti ihm Hals und Wangen betupfte, brannte auf der Haut. Dalmonte mochte diesen feinen Schmerz. Dann fegte ihm der Barbier rasch mit einem weichen Pinsel über Schultern und Kragen und befreite ihn umständlich von dem großen Umhang. Ganz gegen seine Gewohnheit wehrte er sich fast gegen die Bestäubungsprozedur mit Talkum. Er hatte es plötzlich eilig, nach draußen zu kommen. Aber Matti ließ sich nicht beirren. Unvorstellbar, auch nur einen seiner Kunden ohne den leise duftenden Puder zu verabschieden.
    Als Dalmonte endlich den Barbierladen verlassen hatte, schlug er die Richtung zum Hafen ein. Jetzt fuhr er sich doch verstohlen mit der Rechten über das rasierte Kinn. Es fühlte sich weich an, wie Samt. Über der Stadt wölbte sich ein blanker Himmel, im Morgenlicht wirkten die Straßen reingefegt. Die Stadtmauer erhob sich schwarz gegen die Sonne, die bereits hoch über den Deutzer Dächern stand. Doch Dalmonte fröstelte.
    An der Rheingassenpforte grüßte ihn die Wachtmannschaft. Dahinter lag das silbrig glitzernde Band des Flusses, die Wellen blitzten und warfen die Strahlen zurück wie von Abertausend winzigen Spiegeln. Der Spediteur hielt sich die Hand über die Augen, um besser sehen zu können. Vor ihm lagen die Oberländer, die darauf warteten, den langen Weg bis Mainz, Straßburg oder Basel zurückgetreidelt zu werden. Es waren Schiffe, die ihn mit ihren hochgezogenen Hecks und den zum Bug hin abfallenden Decks immer wieder seltsam anmuteten. Ein wenig wie aus einer anderen Welt, aber bestens geeignet für die unruhigen und gefährlichen Fahrten auf dem Oberrhein. Im Norden, hinter dem Salzgassentor, konnte er die Masten der Niederländer auf und ab schaukeln sehen. Marktkähne schipperten übers Wasser, dazwischen kreuzten kleinere Nachen und Ruderboote. Gerade fuhr eine Diligence los, der Uhrzeit nach war es das Postboot nach Neuss.
    Jedes Mal, wenn er hier stand, dachte er an seine Kindheit. Der Gegensatz hätte nicht größer sein können. Damals trieb er das Vieh auf die Alm. Die Ziege seiner Eltern und die Schafe und Kühe der Borgnis, der Mellerio und der Zampetti, denen das schönste Haus in Craveggia gehörte und ein Schloss im Mailändischen, wo die Familie die Wintermonate verbrachte. Er dachte an die schneebedeckten Berge, die mal in unwirklich bläulichen Dunst, mal in dichten Nebel gehüllt waren. An die Wildbäche, die in den heißen Sommermonaten gemächlich vor sich hin tröpfelten oder gar austrockneten, nach langem Regen aber mit tosendem Lärm über die Abhänge ins Tal stürzten, wo der launische Melezzo sie aufnahm.
    Dagegen war der Rhein ein Meer.
    Er liebte das Geruchsgemenge von Holz und modrigem Wasser, von Fisch, Öl, Wein und Käse. Das Gewimmel der Wagen und Karren im Hafen, das Geschrei der Träger und Fuhrleute. Meist wechselte er ein paar Worte mit den städtischen Arbeitern, die für den Stapel und das Wiegen und Messen der Waren zuständig waren. Er kannte fast jeden Kranenmeister und Schreiber am Kai, sogar einige der Kettenknechte und Radtreter, die den Antrieb der Kräne besorgten. Und natürlich die Schiffer. Ließ sich doch das ein oder andere Problem so viel leichter lösen, wenn man gemeinsam am Kai stand und über den Fluss guckte. An manchen Tagen ähnelten sich die Gespräche.
    Â»Morgen schon fährst du los?«
    Â»Ja, morgen.«
    Â»Könntest du vielleicht …? Ausnahmsweise?«
    Â»Ich will sehen, was ich machen kann. Wir kriegen das hin …«
    Man gab sich die Hand, ein Silberstück wechselte den Besitzer, und jeder war zufrieden, die Schiffsmeister und der Spediteur.
    Heute war Dalmonte nicht nach Reden
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