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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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zu viele wurden, und versuchte die Worte zu verstehen, die sich die Händler und Verkäuferinnen auf dem Markt zuwarfen. Vergeblich. Dabei hatte er sich immer eingebildet, dass er nach so vielen Jahren auf der Landstraße gut deutsch sprach.
    Endlich hielt er auf dem Fischmarkt eine Rothaarige an.
    Â»Dalmonte? Kenne ich nicht«, gab sie ihm schnippisch zur Antwort. Aber immerhin zeigte sie ihm den Weg zu Gerrit, in dessen Wirtshaus sich alle Ausstädtischen und Fremden träfen. Dort könne man ihm sicher weiterhelfen.
    Â»Wenn du keinen Erfolg hast, komm zu mir.« Sie begleitete ihr Angebot mit einer eindeutigen Geste. Aber als Giacomo seine leeren Hosentaschen nach außen stülpte, spuckte sie vor ihm aus und ließ ihn stehen. Er ärgerte sich über sie, aber immerhin fand er Gerrits »Fliegenden Amsterdamer« und von dort Dalmontes Haus »Zum roten Schiff«.
    Â»Etwas weiter oben, auf der anderen Seite des Mühlenbachs, vermietet eine Frau Schlafplätze«, hatte Gerrit ihm noch nachgerufen. »Vielleicht kannst du dort unterkommen.« Doch Giacomo zog es vor, in dem verborgenen Mauerwinkel zu bleiben, in dem er in der ersten Nacht Unterschlupf gefunden hatte.
    In den folgenden Tagen strich er um das Haus des Spediteurs. Kaufleute gingen ein und aus, Knechte und Sackträger kamen mit Waren oder schleppten Kisten, Fässer, Stoffballen und Pakete jeglicher Größe hinunter zum Hafen. Einmal sah er durch die geöffnete Haustür eine eisenbeschlagene Truhe mit drei starken Vorhängeschlössern im Vorhaus stehen.
    Wieder spürte er seinen Magen. Außer einem Kanten Brot und einem angefaulten Apfel hatte er seit vorgestern nichts mehr gegessen. Er machte kehrt und ging den gleichen Weg zurück, den er gekommen war. Als er das erste Mal Dalmontes Haus gesucht hatte, war ihm in einer kleinen Seitenstraße eine Kirche aufgefallen, vor der sich Bettler angestellt hatten. Vielleicht würde auch heute Abend Essen ausgeteilt werden?
    Der Geruch von Kohl und Rüben in der schmalen Gasse beruhigte ihn. Er stellte sich zu den Wartenden, die mit Schüsseln und Löffeln gekommen waren. Ihre abschätzenden Blicke musterten ihn von oben bis unten, verharrten unangenehm lang auf seiner ausgebeulten Umhängetasche. Sie schämten sich nicht, ihm unverblümt ins Gesicht zu gaffen. Du bist nicht von hier, schienen sie zu sagen, und Giacomo wusste nicht, ob es ein Vorwurf war oder eine Einladung, sich dazuzugesellen. Er blieb.
    Schon bald tauchten unter dem Kirchenportal zwei starke Mannskerle auf, die einen großen Suppentopf auf die Küchenbank hievten. Zwei Frauen, mit Schöpflöffeln bewaffnet, folgten ihnen. Die Leute verloren ihr Interesse an Giacomo und drängelten nach vorn, um ja genügend abzubekommen. Als er an der Reihe war, stand er unbeholfen vor den beiden barmherziglichen Matronen.
    Â» Dä, nemm de Ming, ich kann waade .«
    Verstanden hatte Giacomo den kleinen Mann nicht, der ihm gutmütig seinen Napf zugesteckt hatte. Aber er löffelte gierig die heiße Kohlsuppe und gab danach dem anderen sein Geschirr wieder zurück. Nachdem alle gesättigt waren, zupfte ihn der Mann, der ihm die Schüssel gegeben hatte, am Ärmel und zog ihn mit hinein in die Kirche. Giacomo ließ es sich gefallen. Zusammen mit den anderen Armen, die vor und hinter ihm in der Essensschlange gestanden hatten, kniete er nieder und leierte ein hastiges »Paternoster« herunter, ein »Avemaria par ul nést Signur« und erneut ein »Paternoster«, da die anderen noch immer ins Gebet vertieft waren. Er getraute sich nicht, aufzustehen und zu gehen. Er zog das Kettchen mit dem Amulett unterm Hemdkragen hervor. Eine Madonna mit dem Kind. Damals, als er mit dem Vater das Tal verließ, hatte es ihm die alte Nonna Zanotti um den Hals gelegt und ihn gesegnet.
    Â» Cun la Madona di Re! «
    Er erinnert sich. An die vier Zanotti-Jungfern, die vor der Caséla stehen und stumm glotzen. An Giovanna, die weint. An den flehenden Blick, den die Nonna der Mutter zuwirft. Doch diese geht schweigend ins Haus und zieht die Tür hinter sich zu. Die schwere Holztür, die tagsüber immer offen steht, um Licht und Luft in den Raum zu lassen und um sehen zu können, wer draußen vorübergeht. Er hört das scharrende Geräusch des Riegels, als sie die Tür schließt. Jetzt sitzt Mutter im Dunkeln.
    Er läuft dem Vater
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