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Oracoli (German Edition)

Oracoli (German Edition)

Titel: Oracoli (German Edition)
Autoren: Thomas Becks
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Cora trifft ihren Chef
       Es war sehr warm in dieser Julinacht. Cora saß barfuß am Steuer ihres Taxis, als sie die letzte Zeile der Cosmopolitan zu Ende las. Die Fenster waren heruntergekurbelt und der warme Wind wehte kurz den Duft von gegrilltem Bauchfleisch in ihre Nase. Zwei Stunden stand sie nun schon in der aus Taxen bestehenden Warteschlange. Cora bekam Hunger und hatte einen großen Appetit – auf Fleisch. Sie verließ das Taxi und bestellte sich beim Türken, der 50 Schritte vom Taxistand entfernt war, einen Döner. Ohne Zaziki, um die Fahrgäste, falls sie in dieser Nacht überhaupt noch einen Fahrgast erwischen sollte, vor dem Knoblauchgeruch zu verschonen. Cora mochte die Sonntag-Nachtschichten nicht, denn in diesen Nächten war selten was los.
     
       Ingo inhalierte gerade den letzten Zug eines Joints, als seine ältere Schwester Frauke, ohne anzuklopfen das Zimmer betrat. Als sie Ingos Zimmertür passierte, stieg ihr der Cannabisduft in die Nase und sie konnte nicht anders, als dort reinzuplatzen. Sie hasste es, wenn sich Leute zukifften, ihrer Ansicht nach macht das Zeug blöd. Doch noch schlimmer fand sie es, wenn ihr Bruder das machte. Er lag in seinem Bett. Wortlos ging sie an ihm vorbei und öffnete das Fenster. »Grins' mich nicht so blöde an«, sagte sie. »Ich muss mit Dir reden.« Ingo drückte den Joint aus und sah Frauke mit verklärten Augen an. »Reiß Dich zusammen Ingo, Mama hat auch so schon genug Schwierigkeiten. Da braucht sie nicht noch einen Sohn, der an der Nadel hängt.«
       »Das bisschen Gras …«
       »Scheiße! Hör auf. Seit Papas Tod lässt Du Dich hängen. Mach wieder Sport, Ingo, studiere, und mach Mama bloß keinen Kummer.«
       »Der Drecksack hat Mama …«
       »Ich weiß«, unterbrach sie ihn. »Und denke bitte daran: Wir wissen nichts davon. Das würde sie nicht ertragen können. Sie hatte sich immer eine intakte Familie gewünscht und wurde so enttäuscht. Lass sie in ihrem Glauben … dass wir nichts davon wissen, Ingo.«
       »Ich lasse ihr den Glauben, klar. … Ich mache mir Sorgen um sie … sie fährt Taxi, Frauke, mir gefällt das nicht.«
       »Mir auch nicht. Ich habe ihr Geld angeboten, aber Du kennst ja Mama, sie möchte nicht einmal, dass ich ihr mehr Kostgeld zahle. Sie will das alleine schaffen.«
      »Ich habe ihr angeboten, dass ich mein Studium abbreche und mir einen Job suche. Das wollte sie nicht.«
      »In diesem Fall muss ich ihr Recht geben, schmeiß' bloß Dein Studium nicht hin. Wenn alle Stricke reißen sollten, bin ich auch noch da, mein Freund. Ich verdiene nicht schlecht bei der Reifenfirma.«
       »Was verdient man eigentlich mit Taxi fahren? Könnte ich doch auch nebenbei machen.«
       »Keine Ahnung, Du müsstest ein Jahr älter sein, man muss 21 sein, glaube ich …, tu mir bitte einen Gefallen Ingo.«
       »Welchen Du willst, große Schwester.«
       »Hör auf zu kiffen, studiere fleißig, und mache wieder Sport … Mama zuliebe.« Ingo fing an, am ganzen Körper zu zittern und verdrehte dabei die Augen. »Kannst, kannst Du … du mir beim Entzug helfen?«
    Frauke ging zu seinem Nachttisch und nahm ihm das Tütchen mit Gras weg. Ingo protestierte: »Hey! Was soll das?«  An der Tür angekommen, drehte sie sich zu ihm um und lächelte ihn an. »Das nennt man einen kalten Entzug, Ingo, schlaf' schön«, sagte sie und schloss die Tür hinter sich. Sie hörte noch, wie ein Kissen gegen die Tür flog.
     
       Zu Coras Freude hatte der Türke auch nichts zu tun. Das war keine Schadenfreude, es garantierte ihr aber, gut durchgegartes Fleisch zu bekommen. Der Döner sah dann auch sehr gelungen aus. Jetzt brauchte sie nur noch was zu lesen, um die Zeit totzuschlagen, der Kiosk hatte schon geschlossen, und so klapperte sie die Taxen nach durchgelesenen Zeitungen ab, es dauerte nicht lange, bis sie fündig wurde. Ein Kollege schenkte ihr die Ruhrnachrichten. Glücklich, vor Langeweile nicht sterben zu müssen, setzte Cora sich wieder ins Taxi und verzehrte ihren Döner. Nachdem ihr physischer Hunger endlich gestillt war, schlang Coras Geist noch die Nachrichten vom Wochenende gierig in sich hinein. Ein Bericht über Gammelfleisch gab ihrem eben gegessenen orientalischen Hamburger einen üblen Nachgeschmack.
     
       Ingo konnte nicht schlafen. Nach seiner Kifferei überfiel ihn der obligatorische Heißhunger. Er ging in die Küche und traf dort Frauke, die kochend vor dem Herd stand. Sie sah ihn an und
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