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Feuerwasser

Feuerwasser

Titel: Feuerwasser
Autoren: Paul Lascaux
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um seine Identifizierung zu erschweren.«
    »Was ja auch gelungen ist«, stellte Müller fest.
    Pascale Meyer erinnerte sich an etwas, was ihr bereits merkwürdig vorgekommen war, als sie zum ersten Mal vom Schafloch gehört hatte.
    »Kennt ihr Geocaching?«, fragte sie.
    Die beiden Männer schüttelten den Kopf.
    »Das kommt von Geo und Cache, also Erde und Versteck. Dahinter verbirgt sich eine Internet-Community. Sie spezialisiert sich darauf, an möglichst originellen Orten eine Schatztruhe zu hinterlassen. Dann werden die GPS-Koordinaten auf der Homepage deponiert. Nun darf jeder, der an diesem Spiel Freude hat, den Schatz suchen. Wenn er die Truhe findet, entnimmt er ihr einen Gegenstand und platziert etwas aus seinem Besitz.«
    »Du willst aber nicht andeuten, dass so jemand unsere Leiche ausgenommen hat«, bemerkte Spring, und seine Zweifel waren unüberhörbar.
    »Nein. Aber im Schafloch drin ist eine solche Schatztruhe versteckt. Vielleicht hat einer der Jäger etwas bemerkt. Ich schau mal nach, wann der letzte Eintrag datiert ist. Denn alle Funde werden gelistet. Man will ja in der Gemeinschaft mit seinen Erfolgen angeben.«
    Der Helikopter war mit dem Bergungsteam und der Leiche abgeflogen, die Spurensicherung und Springs kleines Team waren zurückgeblieben und blickten besorgt zum Himmel.
    Das Blau verwandelte sich langsam in schmutziges Elfenbein, und eine halbe Stunde später bedeckte eine ausgefranste grau-schwarze Wolkendecke den Himmel und legte sich schwer und feucht und warm über das Tal und die Berge. Keine spektakulären weiß-schwarzen Türme, ein dampfendes Leichentuch eher, das dem Tag das Licht verweigerte. Dann blies ein kurzer Windstoß, Donnergrollen beschwerte das Gemüt noch mehr.
    Vor dem Schafloch aber zerplatzten die ersten fetten Regentropfen im spärlichen Gras und auf den Steinen, dann trocknete eine Bö den Berg noch einmal ab, bevor der Regen ungehindert auf die Welt prasselte, ein paar Hagelkörner mitschleuderte, während sich von Nordost her bereits wieder ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke hindurchschob und die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Unwetters weckte. So begann der Kreislauf des Wassers in einem dramatischen Akt der Geburt aus dem Himmel, eine Erinnerung an Thor, der seine Pfeile schleuderte, an den hohnlachenden Donnergott. Es war kein wärmender Sommerregen, es war ein heftiger Schlag ins Gesicht.
    Sie mussten über zwei Stunden warten, bis der Hubschrauber ein nächstes Mal zu ihnen aufsteigen konnte. Der Weg zu Fuß wäre wegen des nun rutschigen Geländes viel zu gefährlich gewesen, selbst der Aufstieg über das Vordere Schafläger war glitschig und unangenehm feucht. Alle waren glücklich darüber, gegen Mittag wieder in den Autos zu sitzen und Richtung Bern zu fahren.
    Da erinnerte sich Heinrich Müller an die junge Frau, die vor gut einem Monat bei ihm aufgetaucht war.
    »Such in der Vermisstenkartei nach einem Kurt Grünig«, sagte er. »Seine Tochter Alice hat die Detektei beauftragt, ihn zu finden. Er hat etwas mit der Energiewirtschaft zu tun. Du kannst die DNA-Profile abgleichen.«
    Dann nickte er ein und träumte von seinem Kleiderschrank, voll von T-Shirts, die – hätte er sie getragen – bei der Ästhetikkommission eine Reihe von Herzinfarkten ausgelöst hätten. Gut, derart geschmacklos liefen die meisten Leute herum. Er aber würde doch wohl nicht mehr jünger werden. Die Erkenntnis hielt ihn jedoch nicht davon ab, die T-Shirts in den Umzugskartons erneut umzuschichten, anstatt sie endlich wegzuwerfen.
    »Alpträume?«, fragte Pascale Meyer niemand Bestimmten, als sie Heinrich Müller seufzen hörte.
    Der aber nahm den bevorstehenden Wohnungswechsel im Schlaf vorweg. Als es ans Einpacken und vor allem ans Wegschmeißen ging, trat eine unerklärliche Verzögerung ein, die in erster Linie damit zusammenhing, dass Heinrich von den mit den Fundstücken verknüpften Erinnerungen überwältigt wurde. Er förderte eine geschnitzte Kreide zutage, die er 1976 von einem lieben Mädchen in Danzig erhalten hatte, und er schmeckte das Salz der Tränen, das ihren einzigen Abschiedskuss begleitet hatte. Er entdeckte eine selbst gebastelte Lederbörse, von denen er nach dem Vorbild spanischer Strandhändler mehrere hergestellt hatte, als er aus den Ferien zurück nach Hause gekommen war. Von einer verheirateten Geliebten blieb ihm eine Identitätskarte, die auf ihren Mädchennamen lautete. Als die Türklingel ging, war Heinrich Müller also weder
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