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Feuerwasser

Feuerwasser

Titel: Feuerwasser
Autoren: Paul Lascaux
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doch keine Krähe, sondern das Telefon, das Heinrich Müller aus dem Tiefschlaf riss. Er griff zum Hörer und vernahm eine biblische Stimme, die sprach: »In zehn Minuten bist du bereit. Wir holen dich ab.«
    Sollte die Welt neu erschaffen werden? Und Gott brauchte ausgerechnet die Hilfe eines Atheisten? Heinrich grübelte, als ihm mit einem Schlag klar wurde, dass er den Störfahnder in der Leitung gehabt hatte. Ein Sprung in die Kleidung von gestern, eine Handvoll Wasser ins Gesicht, eine matschige Scheibe Knäckebrot mit einem angetrockneten Rest Greyerzer Käse und etwas lauwarmes, geschmacksneutrales französisches Mineralwasser, dessen Name hier aus rechtlichen Gründen nicht bekannt gegeben werden darf. Dann läutete es Sturm.
    Spring setzte ihn von den vorliegenden Tatsachen in Kenntnis, und auf Müllers verwunderte Frage, warum er ihn mitnehme, sagte er nur: »Du bist mir noch was schuldig.«
    Sie fuhren mit dem Auto zum Flugplatz Interlaken-Wilderswil, wo ein Militärhubschrauber auf sie wartete. Die Spurensicherung und das Bergungsteam waren schon vor Ort, sodass sie nach ihrer Ankunft gleich starten konnten. Der Helikopter gewann schnell an Höhe, flog über den Thunersee Richtung Merligen und zog in einer gewagten Rechtskurve zwischen Niederhorn und Spitzi Flue ins Justistal hinein. Pascale Meyer wurde langsam gelb im Gesicht und hätte sich gern auf allen Vieren niedergelassen. Sie flogen eben deutlich höher als auf Cäsar Schauinslands Schultern. Aber sie konnte sich beherrschen, auch weil der Pilot ankündigte, er habe den Zielort vor sich.

    Der neue Fall für die Detektei Müller & Himmel also kam von der Polizei, und sollte sich eine Kooperation ergeben, würde man wesentlich mehr mit Bernhard Spring und seinem Team zusammenarbeiten müssen als bei früheren Gelegenheiten. Diese Ausgangslage war für die Detektei Müller & Himmel neu, eröffnete aber auch einen Zugang zu polizeilichen Ermittlungsmethoden, der sonst schwieriger zu erlangen wäre.
    Beim Flug über die Alp Spicherberg sah man die geballten Fäuste der Sennerin, denn die Kühe gingen noch vor dem Melken durch und verteilten sich auf der Weide, von der sie mühevoll wieder zusammengetrieben werden mussten. Man hätte auch ihr wütendes Rufen gehört, wenn der Hubschrauber nicht so laut gewesen wäre.
    Links tauchte nun das Schafloch auf, mitten in der steilen Fluh, nur zu Fuß über den schmalen Unteren Rothornzug zu erreichen. Die Laune der Bergungsmannschaft hatte noch einen Dämpfer bekommen, als man – wie nun auch Spring und seine Leute – nicht einmal im Vorderen Schafläger landen konnte, denn die wunderbare Wiese in der Form einer griechischen Arena stürzte viel zu steil gegen das Tal hin ab. So musste man fast 100 Höhenmeter weiter oben in Richtung Mittaghorn landen und stand trotzdem leicht schief auf dem Hang. Es dauerte denn auch eine halbe Stunde, bis Mannschaft und Material an Ort und Stelle waren. Aber der Tote würde nicht wegrennen, und auf Spuren der Tat machte sich kaum jemand Hoffnung.
    Es verlief alles routiniert, auch wenn der ungewöhnliche Anblick nicht jedermanns Sache war. Nach der Tatortsicherung und den notwendigen Fotografien untersuchte Bernhard Spring die Taschen des Opfers. Sie waren jedoch alle leer. Auch persönliche Ausrüstungsgegenstände, wie sie jeder Wanderer auf einer so langen und schwierigen Tour mit sich führte, fehlten.
    »Das muss nichts heißen«, sagte Heinrich Müller. »Im Breccaschlund habe ich letzthin einen 83-Jährigen getroffen, der bei der untersten Alphütte eine Meringue mit Nidle verdrückte. Das Wetter war mittelprächtig und nicht sehr warm. Der Mann trug kurze Hosen und ein Unterhemd und hatte außer seinem Portemonnaie nichts bei sich, keine Esswaren, keine Getränke. Er lobte die wunderbare Ruhe in den Bergen und erklärte, er wolle eine sechsstündige Wanderung machen. Ich musste ihn anbrüllen und machte ihm ein Kompliment, er sehe viel jünger aus – was auch stimmte. Aber er hörte offensichtlich derart schlecht, da war es kein Wunder, wenn die Berge die Ruhe selbst seien. Er meinte nur: ›Manchmal ist es besser, nicht alles zu verstehen.‹«
    Pascale Meyer blickte ihn verblüfft an, und auch der Störfahnder schüttelte nur den Kopf.
    »Na denn«, sagte Spring, »ziehen wir als eine mögliche Variante in Betracht, dass der Mann mit leeren Taschen hier hochgestiegen ist. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass ihm die persönlichen Dinge weggenommen worden sind,
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