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Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell

Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell

Titel: Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Autoren: F. Paul Wilson
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    Prolog
     
    Warschau, Polen
    Montag, 28. April 1941 • 08.15 Uhr
     
    Vor anderthalb Jahren hatte ein Name an der Tür gestanden, ein polnischer Name, vermutlich auch ein Titel und die Bezeichnung einer Regierungsabteilung. Aber inzwischen gab es den Staat Polen nicht mehr, und die ursprünglichen Schriftzüge verbargen sich unter schwarzen Pinselstrichen. Erich Kämpffer blieb vor der Tür stehen und versuchte, sich an den Namen zu erinnern – eine reine Gedächtnisübung. Ein Mahagonischild bedeckte den schwarzen Fleck, und die Aufschrift lautete:
     
    SS-Oberführer W. Hoßbach
    RuSHA – Reichs- und Siedlungshauptamt
    Bezirk Warschau
     
    Kämpffer zögerte und zwang sich zur Ruhe. Was wollte Hoßbach von ihm, so früh am Morgen? Ärger stieg in ihm auf, als er sich erneut diese Frage stellte, aber er versuchte vergeblich, die Besorgnis zu verdrängen. Niemand in der SS konnte sich seines Postens völlig sicher sein. Selbst ein erfolgreicher Offizier wie er reagierte mit Unbehagen, wenn er die Anweisung erhielt, sich »unverzüglich« bei seinem Vorgesetzten zu melden.
    Kämpffer atmete noch einmal tief durch und öffnete die Tür. Der Stabsunteroffizier, der als General Hoßbachs Sekretär arbeitete, nahm sofort Haltung an. Ein neuer Mann, der ihn nicht kannte. Kein Wunder, dachte Kämpffer. Während des vergangenen Jahrs bin ich in Auschwitz stationiert gewesen.
    »Sturmbannführer Kämpffer«, stellte er sich vor. Der junge Offizier betrat das Büro. Kurz darauf kehrte er zurück.
    »Oberführer Hoßbach ist bereit, Sie zu empfangen, Herr Major.«
    Kämpffer nickte knapp und verließ das Vorzimmer. Hoßbach saß lässig auf der Schreibtischkante.
    »Ah, Erich, guten Morgen!« begrüßte ihn Hoßbach überraschend freundlich. »Kaffee?«
    »Nein, danke, Wilhelm.« Er hätte eine Tasse vertragen können, doch Hoßbachs Lächeln weckte Argwohn in ihm. In seiner Magengrube krampfte sich etwas zusammen.
    »Na schön. Legen Sie ab, und machen Sie es sich bequem.«
    Der Kalender behauptete, es sei Ende April, doch es war noch immer ziemlich kalt in Warschau. Kämpffer zog seinen fast bis zu den Füßen reichenden SS-Mantel aus und hängte ihn zusammen mit der Offiziersmütze an den Garderobenständer. Dabei bewegte er sich betont langsam, fühlte den Blick des Oberführers auf sich ruhen. Vermutlich fällt ihm einmal mehr der Unterschied zwischen uns beiden auf. Hoßbach mochte gut fünfzig Jahre alt sein und neigte zur Fettleibigkeit. Sein schütteres Haar lichtete sich. Kämpffer hingegen war zehn Jahre jünger, muskulös und hatte einen dichten, blonden Schopf. Und ich bin auf dem Weg nach oben.
    »Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Beförderung und Ihrem neuen Auftrag. Der Posten in Ploeşti ist sicher ziemlich wichtig.«
    »Ja«, antwortete Kämpffer in einem neutralen Tonfall. »Ich hoffe nur, daß ich dem in mich gesetzten Vertrauen gerecht werde.«
    »Daran zweifle ich nicht.«
    Kämpffer wußte, daß Hoßbachs Kompliment ebenso falsch war wie seine an die polnischen Juden gerichteten Umsiedlungsversprechen. Der Oberführer hatte sich selbst die Versetzung nach Ploeşti erhofft. Die Position als Kommandant des bedeutendsten Lagers in Rumänien war nicht nur ein Sprungbrett, das einen bis an die Spitze der Militärhierarchie katapultieren konnte, sondern bot darüber hinaus Gelegenheit, persönlichen Profit zu erzielen. In dem gewaltigen bürokratischen Apparat, den Heinrich Himmler geschaffen hatte, gab es keinen Platz für ehrliche, aufrichtige Erfolgswünsche. Wer vorankommen wollte, suchte ständig nach Fehlern bei seinen Vorgesetzten, während er gleichzeitig die Untergebenen im Auge behielt.
    Bedrückendes Schweigen folgte. Kämpffer sah sich im Zimmer um und achtete darauf, sich seine Abscheu nicht anmerken zu lassen, als er die etwas helleren Stellen an den Wänden bemerkte. Sie erinnerten an die Bilder und Auszeichnungen des polnischen Beamten, der vor vielen Monaten in diesem Raum tätig gewesen war. Hoßbach hatte praktisch nichts verändert. Typisch für ihn: er versuchte immer den Anschein zu erwecken, als sei er viel zu beschäftigt, um sich um so »banale« Dinge wie einen neuen Wandanstrich kümmern zu können. Wichtigtuerei, weiter nichts. Kämpffer verzichtete darauf, ständig seinen Pflichteifer in der SS unter Beweis zu stellen. Er arbeitete von morgens bis abends dar an, seine Stellung in der Schutzstaffel zu verbessern.
    Er gab vor, sich für die große Karte von Polen zu
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