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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
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verteilt, bis runter zu den Beinen. Auch ohne Kopf kann das Tier also weiterleben, und zwar ziemlich vergnügt, denn im kopflosen Zustand hat es — mangels Vernunftsteuerung — nur noch Sex im Sinn: Ab jetzt kopuliert es, bis es verhungert, weil es ja nicht mehr fressen kann.
    Drängen sich da nicht zwingende Parallelen zu Wolpers auf? Hat er jemals gezeigt, dass er ein Herz besitzt? Läuft er nicht ebenfalls kopflos rum, in ständiger sexueller Erregung, was aber bisher nicht auffiel, weil man das von Produzenten gar nicht anders kennt? Ist er nicht in Wahrheit eine riesige Küchenschabe mit zwei Sensoren am Hintern, die ihm auch bei völliger Dunkelheit melden, wenn die Quote im Arsch ist?
    Egal, ob Mensch oder Kerbtier: Schon am nächsten Tag bewies Wolpers dann endgültig, dass ihm wesentliche Hirnteile fehlen. Zufällig nämlich fiel in unsere zwölftägige Drehzeit der alljährliche New Yorker Marathonlauf, und da schlug er doch allen Ernstes vor, ich solle die Gelegenheit wahrnehmen — und mitrennen. Ist doch ein Volkslauf für jedermann, argumentierte er mit vor Erregung vibrierenden Fühlern, und das wär doch mal was: »Wir keuchen mit«, eine Reportage von innen heraus... müssen ja nicht unbedingt sämtliche 42 Kilometer sein, aber der Anfang, das Ende und ein paar tolle Einstellungen zwischendurch, höchstens 30 Kilometer insgesamt. Ich war sprachlos.
    Sport habe ich in jeder Form und in jedem Lebensalter grundsätzlich abgelehnt. Ich sehe nicht ein, seinen einzigen Körper, der ohnehin durch Unvermeidlichkeiten wie Kauen, Gehen oder Sex bis zur Grenze des Erträglichen geschunden wird, durch überflüssigen Energieverbrauch zusätzlich zu belasten, und ich bin fest davon überzeugt, dass ich meine strahlende Gesundheit der letzten sechzig Jahre ausschließlich dieser Einstellung verdanke. Dabei ist es durchaus nicht so, dass ich zimperlich bin: Ich gehe gern kilometerweit, sei es der Landschaft wegen oder um bestimmten Kollegen auszuweichen, aber es würde mir nicht im Traum einfallen, ohne Grund oder Rechnungsstellung auch nur mit dem Finger zu zucken. Es macht mich ratlos, wenn erwachsene Menschen auf Bälle eintreten, ich finde es obszön, dass man eine Verkürzung der Arbeitszeit fordert, um dann die gesparte Kraft mit Foltermaschinen im Fitness-Studio abzubauen, und es schmerzt mich, dass sogar meine Frau, von der ich sonst so viel lernen kann, bereit ist, über Stunden auf dem Stepper zu traben, aber beim Blumengießen auf der Terrasse schon nach dreißig Sekunden in schwerste Erschöpfungszustände verfällt. Und zwar im Voraus. Aber was rege ich mich auf: Natürlich bin ich nicht mitgelaufen. Trotzdem waren wir dabei, beim Start ebenso wie im Ziel, allein schon aus journalistischer Sorgfaltspflicht. Und hinterher war ich sogar froh darüber, weil ich wieder mal vor Ort den Beweis geliefert bekam, wie Recht ich doch mit meiner Sportverweigerung habe. Was für ein absurdes Schauspiel!
    50000 Männlein und Weiblein versammeln sich vor der Verrazano-Brücke auf der Seite von Staten Island in Richtung Brooklyn. Aufgeregt flattern sie durch die Morgenkühle des zweiten Sonntags im Oktober und zertrampeln das letzte Grün, die einen dick in Thermoklamotten verpackt, die andern schon halb nackt im Laufdress, je nach der Broschüre, die sie vorher gelesen hatten: Man muss den Körper vorher überwärmen, raten die einen, man muss sich selber heiß laufen, sagen die anderen. In einem Punkt aber schienen sich alle 50000 einig zu sein: Man muss vor dem Start noch mal pinkeln.
    Zwar hatten die Stadtväter ein paar Dutzend Toilettenwagen aufgestellt, aber für diesen Augenblick hätten es Tausende sein müssen. Für die 25000 Kerle war dies kein großes Problem: Sie stellten sich im Endlosspalier an den Straßenrand und bildeten einen Massenbrunnen von der Wasserkraft der Niagarafälle, während die Polizisten, die im supersauberen New York sonst schon bei lautem Räuspern ihre Strafzettel zücken, diskret in den Himmel schauten und Vögel zählten. Die Mädels hingegen standen in endlosen Schlangen vor den »Hygiene-Kabinen«, wie man im prüden Amerika so was nennt. Nervös hüpften sie von einem Bein aufs andere, schauten auf die Uhr und mussten dann, als pünktlich zum Start aufgerufen wurde, zum größten Teil unentleert auf die Straße zurück. Ob das wohl der Grund ist, dass Frauen, die doch sonst immer alles besser können, beim Marathonlauf nicht aufstecken? Weil sie vorher nicht pinkeln
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