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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
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Fast-Heimat, möchte ich hinterher sagen, weil in dieser Stadt der Einstieg ins eigene Leben begann: die Befreiung vom Vater, verbunden mit dem Sturz ins Bodenlose, der unvorbereitete Wechsel vom warmen, aber ungeliebten Nest zum Existenzkampf, wie ich ihn vorher nur aus marxistischen Abschreck-Broschüren kannte. Die Geburtswehen eines neuen Bewusstseins, beschwert durch massive Ängste: Ich war sicher, ich würde hier elend scheitern, und hielt bei meinen Streifzügen durch die Bowery, der damaligen Slum-Ecke von Manhattan, bereits Ausschau nach Hinterhoftreppen, unter denen ich still und demütig verkommen könnte.
    Wenn ich die letzten Zeilen überlese, muss ich freilich lachen. Denn darin schwingt tatsächlich schon wieder der Pathos der Tellerwäscher-Karriere: Seht her, was ich durchgemacht habe. Was für ein Kerl ich bin! Dabei hat alles doch so schnell, so leicht, so locker geklappt. Gerade mal ein lächerliches halbes Jahr, in dem ich ein bisschen am Abgrund schrammte.
    Meine Phantasie freilich, die immer schon zu enormen Übertreibungen neigte, sah dies anders. Sie schuf noch jahrelang Dämonen von kolossalem Ausmaß: Jede Fahrt mit der U-Bahn erzeugte damals Atemnot und klaustrophobische Zustände, vor jeder Autofahrt nach Manhattan fürchtete ich mich schon Tage vorher, weil sie über Brücken führte, oder schlimmer noch, durch einen Tunnel, verbunden mit Hitzewallungen und Schweißausbrüchen sowie der Panik, jeden Augenblick ohnmächtig umzufallen. Ich hielt mich für todkrank und zwang mich zu seltsamen Diäten und Riten. Pearl war zutiefst erschrocken, als sie Jahre später in meinem New Yorker Nachlass ein Bündel alter, bezahlter Psychiaterrechnungen fand, den Preis für allerlei Neurosen und Macken, mit denen ich ein halbes Jahr lang einen gewissen Dr. Levine gelangweilt hatte — ohne dass sich mein Zustand dadurch auch nur um einen Deut verbessert hätte. Denn die Freud’schen Quacksalber hatten damals Hochkonjunktur und waren fest davon überzeugt, auf ihrer schwarzen Ledercouch auch die innersten Lebensängste therapieren zu können, vorausgesetzt, man war bereit, die nächsten dreißig Jahre lang zwei Mal die Woche Seelenmüll auszukotzen. Vor meiner Frau hatte ich diese inneren Drachenkämpfe streng verborgen gehalten, teils aus Scham, teils weil ich ungestört viel besser leide. Ihre japanische Herkunft sorgte für Diskretion: Da ist man noch höflich und fragt nicht nach, wenn einer in der Familie spinnt.
    Erst mit dem Haus, mit dem Bastelkeller und dem wunderbar ablenkenden Dauerkrieg mit dem Rasen im Sommer und den Blättern meiner beiden Bäume im Herbst ließen sich die Dämonen allmählich vertreiben, und als dann der Kerzenständer aus Haiti eintraf, war ich so beschäftigt, dass ich keine Zeit mehr für die Ängste hatte. Sie kamen seither auch nie wieder zurück.
    In meiner »Staatszeitung« war ich inzwischen Chefredakteur geworden... das heißt, ich dachte, ich wäre Chefredakteur. Denn die Konstellation war ziemlich undurchsichtig: Unser Verleger, der ehemalige Gastwirt aus dem Odenwald, war wirklich der Verleger, und es gab auch noch einen Herausgeber, der an sich Chefredakteur war, aber nicht genug Deutsch konnte und sich deshalb »Editor« nannte. Der eigentliche Chefredakteur war jedoch Henry Marx, ein vielseitiger Publizist (und späterer Leiter der jüdischen Wochenzeitung Aufbau), doch mochte ihn der Verleger nicht sonderlich, weshalb er dessen Urlaub benutzte, um mich zum Chefredakteur zu ernennen. Allerdings nur mündlich. Als Marx wieder zurückkam, traute sich keiner, ihm das zu sagen, sodass wir fortan zwei Chefredakteure waren. Natürlich erfuhr er hintenrum von dem Coup, doch sprach dies keiner von uns beiden jemals offen aus, in der berechtigten Sorge, der wahre Chefredakteur könne vielleicht doch der andere sein.
    Gleichzeitig hatte ich feste Bande zum österreichischen Konsulat in der vornehmen 69. Straße Ost geknüpft. Der damalige Presseattache hatte einen Narren an mir gefressen und mich zum »festen freien Mitarbeiter« gemacht: Ich redigierte Austrian Information für ihn, ein Info-Blatt, in dem jeden Monat neu bewiesen wurde, wie rückständig und arm Amerika ohne das Wirken von uns Österreichern wäre. Dazu bekam ich eine Abstellkammer im Dachgeschoss des Konsulats als Arbeitsraum, und wenn ich auf meinen Schreibtisch stieg, konnte ich ins Badezimmerfenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite schauen. Dort wohnte Jayne Mansfield, ein
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