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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
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»Extremklettern auf einem Wackelbrett« war es in Wirklichkeit. Ein Anschlag von infernalischer Genialität: Er wollte mich in den Selbstmord treiben, der wie ein Unfall aussieht. Um dann die Versicherungskohle für den Produktionsausfall zu kassieren.
    Wer mich ein bisschen kennt, der weiß: Der Tod ist mein ständiger Begleiter. Ganz im Sinne von Johann Sebastian Bach als Mahnung an die Nichtigkeit des Seins, aber ebenso als Lebensgefühl eines Mozart aus der Verzweiflung heraus, Salzburger zu sein. Da hilft nur der Tod als Befreiung, und meine Erlösung ist das ewige Nichts, denn ich habe viel zu viel Respekt vor den Religionen der Welt, um einer einzigen zu trauen.
    Ich gehe auch kein bisschen sentimental damit um, sondern durchaus realistisch: Mein Testament ist immer auf dem neuesten Stand, und gern hätte ich mir diesen Kleiderschrank gekauft, den man mit ein paar Handgriffen in einen Sarg verwandeln kann, doch hat mir das meine Frau verboten. Dafür habe ich sie aber rumgekriegt, dass wir monatlich einen »Witwentag« begehen, übungshalber: wo der Safeschlüssel liegt, wer auf keinen Fall eine Rede halten darf, und wie sie sich am Grab verhalten soll, wenn andere Frauen auftauchen, von früher natürlich, als wir uns noch nicht kannten.
    Da liegt die Frage nahe, wieso ich mich noch nicht umgebracht habe. Wo ich doch dem Freitod als selbstgewählte Entscheidung durchaus mit Sympathie gegenüberstehe und vermute, dass der Grund für die staatliche Opposition dagegen weniger die Ethik ist als das Finanzamt, das Sorge hat, dass man Steuerschulden mit ins Grab nehmen könnte. Aber bisher hatte ich einfach noch keinen Grund dafür. Denn entweder verlief mein Leben so grässlich, dass es nur besser werden konnte — was ja auch schon wieder ein Überlebensgrund ist. Oder es ging mir gerade gut, und warum sollte ich mich dann umbringen? Zumal ich in den letzten vierzig Jahren so gut wie nie krank gewesen bin... Was ja nun wahrhaft kein Wunder ist, wenn man dem Tod so nahe steht. Denn was soll eine Krankheit im ständigen Angesicht des Sensenmanns? Die will ja auch leben.
    Es gibt freilich eine Situation, in der der Todeswunsch bei mir übermächtig wird: wenn ich am Dachrand eines Hochhauses stehe oder auf einem Felsen, ohne Halt, und es geht neben mir senkrecht hinunter. Dann packt mich die Anziehungskraft der Erde mit der Macht von tausend Magneten, ich werde schwindlig und spüre den unbändigen Drang, nachzugeben und mich fallen zu lassen. Und das wusste Wolpers. Weil er mich auf der mexikanischen Sonnenpyramide und in den Bergen von Oman schon früher mehrfach in solche Lagen gebracht hatte.
    Die beiden Fensterputzer, die uns erwarteten, waren sympathische Kerle. Der eine hieß Charlie, war schwarz und stammte aus Brooklyn, der andere kam aus Kolumbien und trug den Namen Jesus. Natürlich machte ich sofort meine Witzchen: »Mit Jesus gen Himmel zu fahren, kann wohl kaum schief gehen«, sagte ich, und Jesus kicherte höflich, denn bestimmt hatte er das schon tausendmal gehört.
    Zum Putzen der Wolkenkratzerfenster gibt es die verschiedensten Möglichkeiten, vom luxuriösen Hightech-Aufzug, der an Schienen an der Fassade rauf- und runtergleitet, bis zum Holzbrett, das lose an einem Balken hängt und mittels Elektromotor hochgezogen wird. Eigentlich geradezu selbstverständlich, dass sich Wolpers für das letztere Modell entschieden hatte.
    Vierzig Stockwerke war das Gebäude hoch, ein modernes Bürohaus mit glatter Stahlbeton-Glasfassade ohne Vorsprung und Schnörkel bis zum Dach. Ich stellte sofort klar: Ich lasse mich nur bis zum zweiten Stockwerk hoch-ziehen. Dort würde ich in aller Ruhe entscheiden, ob ich noch den vierten Stock schaffen könnte, die absolute Obergrenze. Darüber hinaus ginge nichts mehr, unwiderruflich und ohne weitere Diskussion. Stefan könne ja tricksen, sodass es aussehen würde, als wäre ich ganz oben. Wozu gibt es Nachbearbeitung und Trickprogramme.
    Wie es Vorschrift ist, bekam ich einen Schutzhelm aufgesetzt, der ja enorm hilft, wenn man vierzig Stockwerke in die Tiefe stürzt. Dann bestiegen wir die Arbeitsplattform, rundherum eine Art Geländer aus Brettern, die Sicherheit bedeuten. Daran hakten wir uns ebenso wie die Putzeimer und alle anderen Geräte fest, der Motor surrte, und wir stiegen hoch.
    Es fing wunderbar an. Auch in der Höhe des zweiten Stocks überkamen mich noch keinerlei ungute Gefühle, ich fühlte mich bestens und gab deshalb wohlgemut das Signal zur
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