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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
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Besuch, Ende 2002, wurde die Deponie nach kompletter Füllung für immer geschlossen. Ich aber habe sie noch voll in Betrieb erlebt, der Abschiedsbesuch einer historischen Stätte gewissermaßen. Langfristig soll daraus ein Naturschutzgelände entstehen. Ob Außerirdische in fernen Jahrtausenden hier graben werden, um nach Spuren der dann wohl längst verschwundenen menschlichen Zivilisation zu suchen?
    Es war in der Tat ein dämonisches Schauspiel, das sich täglich hier abspielte, das Stoffwechsel-Endspiel der Zivilisation: Zwanzig Riesenkähne schleppen auf dem Wasserweg den gesamten Hausmüll aus allen fünf Stadtteilen an, 14000 Tonnen jeden Tag, jeweils zum Höchststand der Flut. Dann werden die Schleusen geschlossen, damit beim Umladen nichts ins offene Meer entkommt, und gewaltige Schaufelbagger schieben den Abfall abwechselnd mit Erdfüllung über den Boden, zur Freude unzähliger Vögel, meist Möwen und Reiher, die sich dem leicht zu erbeutenden Müllfutter komplett angepasst haben. Eine neue ökologische Nische, sagen die Zoologen dazu. Eine eklige Verzerrung der Natur, empfindet man selber, wenn man mitten unter den Tausenden Vögeln steht, die jede neue stinkende Fuhre kreischend und zankend umflattern.
    Gleich nach Japan ist Amerika Vizeweltmeister in der Müllerzeugung, wobei übrigens New York so was ist wie der Einäugige unter den Blinden: nämlich die einzige amerikanische Großstadt mit einer nennenswerten Mülltrennung. Immerhin 17 Prozent des Abfalls werden zum Recycling abgezweigt, etwa die gleiche Menge kommt in thermische Kraftwerke, und nur 62 Prozent landen hier auf der Halde. Macht aber immer noch fünf Millionen Tonnen im Jahr.
    Man muss kein zwanghafter Grübler wie ich sein, um hier wieder einmal einen dieser grandiosen Widersprüche Amerikas zu erleben: Nirgendwo sind Strände und Nationalparks sauberer, nirgendwo werden Raucher erbarmungsloser verfolgt, wenn sie nur einen Blick in Richtung Zigarette riskieren — und nirgendwo geht man sorgloser mit Müll und Abgasen um. Aber was soll’s, wir haben ja selber genug solcher Widersprüche, da brauche ich nur an die Milliardenkosten durch Raucherleiden zu denken und die Milliardeneinnahmen des Staates durch die Tabaksteuer. Da lasse ich den moralischen Zeigefinger lieber unten.
    Wo so viel Müll ist, dürfen die Kakerlaken nicht fehlen — und wer weiß das besser als ich aus der Zeit meiner Absteige in Manhattans 112. Straße. Da war es geradezu zwingend, dass wir von Staten Island über die Brücke westwärts nach New Jersey fuhren und dann den Hudson hoch in Richtung Norden bis etwa auf die Höhe der Freiheitsstatue. Nach dieser Miss Liberty — in deren engem Korsett Sie übrigens nicht unbedingt innen raufklettern müssen, der Anblick von außen langt völlig! — ist auch das kleine Institut benannt, das wir hier besuchen, das Liberty Science Center mit seiner Spezialabteilung für meine alten Freunde und Zimmergenossen: die Küchenschaben.
    Wussten Sie, dass es die deutsche Küchenschabe (Blatella germanica) ist, die New York erobert und ebendort die fast doppelt so große amerikanische Kakerlake verdrängt hat? Muss man sie nicht allein schon aus Nationalstolz lieben? Fast schäme ich mich heute, mit welcher Intoleranz ich sie damals verfolgt habe, gnadenlos und mit der einzig wirksamen Waffe, die es gegen Küchenschaben gibt: dem Schlag mit dem flachen Pantoffel. Denn gegen die üblichen chemischen Mittel sind die Tiere inzwischen längst immun, und da sie im Vergleich zum Menschen die tausendfache Strahlendosis verkraften, würden sie mühelos selbst Atomkriege überleben. Aber nicht Pantoffeln.
    Auch sonst sind sie ein wahres Wunderwerk der Natur: Mit dem Mund können sie nicht nur fressen, sondern auch riechen. Und, wenn erforderlich, spucken. Sie haben einen Kropf wie Vögel, wo sie Gefressenes speichern und vorverdauen können, sowie Nieren und Lungen. Wenn ihr Herz zu schlagen aufhört, leben sie immer noch, weil die Blutflüssigkeit in ihrem Körper frei zirkuliert. Und sie sind hoch sensibel. Denn sie haben nicht nur diese beiden Riesenantennen am Kopf, mit denen sie sich auch bei völliger Dunkelheit orientieren können, sondern auch zwei weitere Fühler am Hinterteil, Cerci genannt, die so empfindlich sind, dass sie damit allein an der Luftbewegung spüren, wenn von hinten Gefahr droht. Und hier das Spannendste überhaupt: Das Hirn der Schabe befindet sich nicht nur im Kopf, sondern ist über den ganzen Körper
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