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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
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können?
    Und hier noch ein weiterer Beweis für die Trübung des menschlichen Verstandes durch Sport: Vor dem eigentlichen Lauf, mit einer halben Stunde Vorsprung, startet der Marathon der Behinderten. Ein paar hundert Rollstuhlfahrer. Ist das noch zu fassen? Reicht denen die Behinderung nicht? Suchen sie eine neue??
    In einer Kolonne von Privilegierten-Bussen für Presse und andere Wichtigtuer rasten wir dann durch die sonst weitgehend gesperrten Straßen zum Central Park, dem Ziel des Volkslaufs, wo ich dann die endgültige Bestätigung der Lebensregel »Sport ist Mord« geliefert bekam. Gut, die ersten zwanzig oder dreißig, die die Ziellinie überquerten, waren Profis. Ausgemergelte Laufmaschinen aus irgendwelchen Hochländern, wo man schon von Geburt an gewohnt ist, ohne Sauerstoff auszukommen. Sie strahlten, winkten, umarmten ihre Betreuer und konnten sogar noch Laute von sich geben, die so ähnlich klangen wie great und I love New York. Aber nach einer halben Stunde oder so torkelten dann nach und nach die echten Volksläufer ein, das wahre Fußvolk, sportbegeisterte Amateure, Menschen wie du, aber nicht ich. Sie stolperten über die Ziellinie, warfen die Arme hoch — und brachen zusammen. Jeder Zweite kotzte, jeder Dritte schrie vor Schmerzen und jeder Zehnte wurde wie eine Forelle in Alufolie gewickelt und ins Sanitätszelt getragen. Ich aber war ausnahmsweise mal zufrieden mit mir und ging abendessen.

    Am vorletzten Tag, bei unserem Besuch des Empire State Building, des ehrwürdigen Postkarten-Wahrzeichens von New York, sah ich denn endlich das wahre Gesicht von Wolpers: Aus der Küchenschabe wurde ein Affe. Auf seinen eigenen Wunsch. Denn er wollte da oben unbedingt King Kong spielen.
    Wir alle kennen den Filmklassiker des Jahres 1933, den allerersten King-Kong-Film, der damit endet, dass der Riesenaffe auf dem Empire State Building hockt und nach Kampfflugzeugen hascht, die ihn von allen Seiten angreifen. Da hatte Wolpers die gar nicht so schlechte Idee, dass am Ende unserer Reportage, wenn ich auf der Aussichtsplattform ein bisschen über die Geschichte des Wolkenkratzers erzählte, von hinten plötzlich King Kong angeschlichen käme, mich packte und aus dem Bild trüge. Zu diesem Affen würde er sich natürlich selber machen, in einem Theaterladen hatte er bereit sein Ganzkörperkostüm besorgt.
    Natürlich war mir sofort klar, dass das nicht alles war, was er plante: Er würde mich aus dem Bild tragen und dann hundert Stockwerke in die Tiefe werfen, leichter und unschuldiger könnte man einen Unfall gar nicht Vortäuschen. Trotzdem war ich unbesorgt, denn die Besucherplattform ist rundherum, von unten bis oben, wie im Zoo mit einem lückenlosen Gitternetz gesichert, als Barriere gegen Selbstmörder und die mit ihnen verwandten Fallschirmspringer und Drachenflieger, die diese Höhe in der Vergangenheit immer wieder als ideales Sprungbrett für ihre Karriere betrachtet hatten.
    Was ich dabei nicht bedacht hatte: Es gibt da noch eine Art Geheimtreppe ein paar Stockwerke nach unten, zu einer wesentlich größeren und völlig freien Plattform, wo die Scheinwerferbatterien für die nächtlich wechselnde Farbbeleuchtung untergebracht sind. Hier hatten wir zuvor mit dem Cheftechniker des Wolkenkratzers gedreht und von ihm alles über die Höhe erfahren (381 Meter), die Aufzüge (insgesamt 73) und wie man zur Not auch ohne sie auskommen kann (1860 Stufen, auf denen jedes Jahr ebenfalls ein Laufwettbewerb stattfindet — der Schnellste dieser Wahnsinnigen schafft es in elf Minuten). Anschließend waren wir wieder nach oben geklettert, für mein Schlusswort und die King-Kong-Szene. Die Treppentür, sonst immer streng versperrt, war offen geblieben. Genau damit hatte Wolpers gerechnet: Er würde mich aus dem Bild tragen, die Treppe hinunterschleppen und dann von der freien Plattform in die Tiefe schmeißen.
    Was er dabei vergessen hatte, war die Kostümprobe. Denn Wolpers ist ja kein Schauspieler, sondern ein Produzent, ein typischer Filmemacher mit der festen Überzeugung: »Das kriegen wir nachher im Schnitt wieder hin!«, egal, wie daneben der Dreh auch geraten war. Und da hatte er nicht bedacht, dass man durch die winzigen Augenlöcher der Affenmaske so gut wie nichts sehen kann, und noch viel weniger, wenn man einen zappelnden Feuerstein in den Armen trägt. Also packte er mich, trug mich aus dem Bild — und rannte dann auf vergeblicher Suche nach der Pforte, die ins Treppenhaus führt, mehrfach gegen
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