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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
Autoren: Uwe Hinrichs
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VORBEMERKUNGEN
    Dieses Buch ist entstanden aus einem Essay, den Der Spiegel im Februar 2012 veröffentlichte, und hier vor allem aus den gegensätzlichen und zum Teil überschäumenden Reaktionen, die er hervorrief. Der Essay hieß: Hab isch gesehen mein Kumpel und hatte den Untertitel: Wie die Migration die deutsche Sprache verändert hat . In diesem Essay ging es wohlgemerkt nicht um den Slang ausländischer Jugendlicher, es ging nicht um das ‹Kiezdeutsch› oder die berühmt-berüchtigte ‹Kanak Sprak›, wie die etwas reißerische Überschrift auf den ersten Blick vermuten ließ. Es ging so gut wie ausschließlich um die subtilen, leisen und strukturellen Veränderungen in der gesprochenen Umgangssprache der deutschen Muttersprachler , also um Veränderungen in der Standardsprache, die sich in den letzten Jahrzehnten angebahnt haben und sich zur Zeit immer stärker durchsetzen. Und es ging um die Frage, welche Rolle die Migration dabei gespielt haben könnte und noch spielt, d.h. die neue Anwesenheit von vielen unbekannten Fremdsprachen, von vielen Varianten eines neuen Migrantendeutsch und von flächendeckenden Mehrsprachigkeiten mit ihren unabsehbaren Defiziten, Verwerfungen und Überlappungen in den sozialen Milieus.
    Die Reaktionen auf jenen Essay fielen offenbar vor allem deswegen so heftig, so ambivalent und so schroff aus, weil dieses Thema über Jahrzehnte ein subtiles, wohlgehütetes Tabu war und noch immer ist – jedenfalls in der öffentlichen Kommunikation und in der linguistischen Wissenschaft. Ein essentielles, nagendes, latentes Problem der deutschen Gesellschaft drängte aus dem Dunkel des Unbewussten an die helle Oberfläche der Diskurse und der Medien und wollte gehört werden. Denn immerhin gaben 84 Prozent der Deutschen im Jahre 2010 an, sie bemerkten deutliche Veränderungen ihrer Sprache, und fast ein Drittel führte dies diffus auf den Einfluss von Migrantensprachen zurück (Gärtig et al. 2010).
    Eben weil hier weithin Unklarheit herrscht, gab es aus dem Volk höchst ambivalente Reaktionen: seltsame und kuriose Fehldeutungen, absurde oder abstruse Missinterpretationen, ganz banaleMissverständnisse, viele Unterstellungen und hier nichtwiederzugebende Kommentare und Anschuldigungen. Auf der anderen Seite gab es auch ordentlich Beifall und eine gewisse breitstreuende Genugtuung darüber, dass ein Tabuthema von einer ungewohnten, ganz neuen Seite beleuchtet wurde. Auch Lob von der falschen Seite war natürlich dabei und barsche Kritik von jenen, die sich selber für sprachlich sensible Zeitgenossen hielten. Bedient wurde die ganze Skala der Projektion: der Autor ein gezierter weltfremder Linguist im Elfenbeinturm, dem die tatsächliche Sprache im Lande abhanden gekommen ist; ein Deutschenfeind, der tatenlos, sprachlos zusieht, wie sich die Muttersprache seiner Zeitgenossen allmählich selber abschafft – bis hin zum besorgten, ‹guten› Wissenschaftler, der schwer an der Verantwortung für die Landessprache trägt und unbeirrt daran arbeitet, eine multikulturelle Vision der deutschen Sprachenlandschaft der Zukunft zu entwerfen.
    Unschwer lässt sich hinter diesen Reaktionen die Fernwirkung jener Syndrome und Komplexe ausmachen, die die Deutschen auch auf vielen anderen Gebieten quälen. Sie gehen letztlich auf den großen Krieg des 20. Jahrhunderts zurück, auf seine Verwüstungen und langfristigen Schuldenlasten, auf die vielen Anstrengungen der Vergangenheitsbewältigung, die den Bürgern einen klaren, leidenschaftslosen Blick auf das, was in ihrem Land vor sich geht, erschweren, ja oft unmöglich machen: Da ist der uneingestandene Scham-und-Schuld-Faktor gegenüber den Migranten, den die Deutschen mit ihren europäischen Nachbarn, den Engländern, Franzosen und Niederländern, gemeinsam haben (Bruckner 2008); da ist der Wut-Faktor darüber, dass die Politik jahrzehntelang reglos verharrt und ihrem Volk nicht erklärt, was vor sich geht und wie es weitergehen soll; da ist der mächtige Faktor der Political Correctness , das neue amerikanische Kultur-Über-Ich, jene alle Diskurse beherrschende, dunkle neudeutsche PC-Norm, die nur das durch den Filter von Talkshows und Medien hindurchlässt, was sie selbst nicht unmittelbar gefährdet; da ist die mächtige Chimäre eines liberalen, sich immer noch alternativ gebenden
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